Das wichtigste Thema der Bundestagswahl seien Wirtschaft und Inflation, sagt die Soziologin Friederike Römer. Sie ist Co-Autorin einer neuen Studie zum Wahlverhalten von Menschen mit Migrationshintergrund. Das Thema Wirtschaft betreffe eigentlich alle Bevölkerungsgruppen. Und doch hätten Migranten oft speziellere Themen. Sie sorgten sich eher um ihre eigene finanzielle Situation. Außerdem hätten viele Angst davor, Opfer von Kriminalität oder Diskriminierung zu werden.
Diskriminierungen nehmen zu
So geht es etwa der 23-jährigen Rahaf Abou Hamid. Sie kam 2016 als Flüchtlingskind aus Syrien und lebt mit ihren Eltern in Stuttgart. Deutschland ist ihre Heimat - aber als Kopftuchträgerin ist sie immer wieder Diskriminierungen ausgesetzt, erzählt sie: "Sei es angespuckt zu werden oder irgendwie so einen kurzen Schlag zu bekommen oder auch irgendwelche rassistischen Worte oder Sätze zu hören." Die Diskriminierungen hätten in ihrem Umfeld seit der verschärften Migrationsdebatte im laufenden Wahlkampf spürbar zugenommen, beobachtet Rahaf.

Rund sieben Millionen Menschen mit Einwanderungsgeschichte in Deutschland sind wahlberechtigt, doch viele von ihnen werden ihr Wahlrecht nicht nutzen. Sie fühlen sich von den etablierten Parteien nicht angesprochen, schreiben die Studien-Verfasser vom Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung. Außerdem fehle Migrantinnen und Migranten oftmals das Vertrauen, dass Parteien politische Probleme lösen könnten. Ein weiterer Grund für die geringe Wahlbeteiligung ist laut Politikwissenschaftler Stefan Marschall von der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf, dass Menschen mit Migrationshintergrund oft nicht so eine starke Parteien-Bindung hätten wie Menschen, deren Familien aus Deutschland kommen.

AfD-Zuspruch in migrantischen Communitys
Den Studien-Autorinnen vom Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung zufolge hat die SPD aktuell das größte Wählerpotential bei Menschen mit Migrationsgeschichte und die AfD das geringste. Und dennoch gelingt es der AfD, die immer wieder als ausländer- oder islamfeindlich auffällt, in migrantischen Communitys Stimmen zu holen. Den Parteienforscher Stefan Marschall überrascht das nicht.

Die AfD vertrete Werte, die für einige kulturelle Kreise durchaus attraktiv sein könnten, wie etwa bestimmte Geschlechterrollen oder die Rolle der Familie, sagt der Politologe. Insbesondere bei sogenannten Russlanddeutschen sei die AfD erfolgreich. Das könne damit zusammenhängen, dass die AfD eine andere Position in Bezug auf die Rolle Russlands vertrete als andere Parteien. Darüber hinaus habe die AfD teilweise gezielt in migrantischen Communitys um Stimmen geworben.
Inwieweit die Unterstützung von CDU/CSU-Anträgen zur Migrationspolitik im Bundestag durch die AfD diese Woche das Wahlverhalten von Menschen mit Migrationshintergrund beeinflusse, lasse sich derzeit noch nicht sagen, so Stefan Marschall. Klar sei, dass Menschen mit Migrationsgeschichte nicht automatisch für mehr Einwanderung seien.