Ein guter Geschichtsunterricht könne viele Fakten vermitteln, sagt Stephanie Roth, aber Zeitzeugengespräche haben für sie eine andere Qualität. "Wir machen sie vor allem deshalb, weil es auf junge Menschen einen sehr prägenden Eindruck macht, wenn sie jemanden persönlich gegenüberstehen, der diese Zeiten wirklich erlebt hat." Das wirke sehr viel mehr nach und motiviere junge Menschen vielleicht, sich mehr mit Geschichte zu beschäftigen. Auch dazu, wachsam gegenüber Ausgrenzung und Hetze zu sein und politisch zu denken. "Und da ist die persönliche Begegnung mit den Zeitzeugen eben ganz wichtig." Stephanie Roth gehört zum Organisationsteam der Veranstaltungsreihe im Kloster Jakobsberg "Fragt uns – wir sind die Letzten". Zusammen mit dem Bistum Mainz veranstaltet das in Freiburg ansässige Maximilian-Kolbe-Werk seit 2001 diese Begegnungen. Sie blieben sehr lange in Erinnerung, so Stephanie Roth. "Und deswegen ist es eben wichtig, diese Gespräche noch so lange fortzuführen, wie es eben geht."
Berührende Begegnungen – aber immer weniger Holocaust-Zeitzeugen
Ihre erste Begegnung mit einem Auschwitz-Überlebenden habe sie selbst so stark bewegt und berührt, dass sie in die Zeitzeugen-Arbeit eingestiegen sei. Diese Arbeit lasse sie seitdem nicht mehr los. Inzwischen sei es schwerer, Zeitzeuginnen und Zeitzeugen zu finden, weil viele auch schon verstorben seien. Für die Veranstaltungsreihe "Fragt uns – wir sind die Letzten" seien die Organisatoren aber in der glücklichen Lage, dass Zeitzeuginnen und -zeugen schon seit über zwanzig Jahren zu ihnen kämen. "Wir haben mit denen so gut Kontakt, und sie kommen so gerne auch zu uns, dass es im Moment eben noch gut funktioniert, dass wir vier bis fünf Zeitzeugen zu Gast haben, je eine Woche, zweimal im Jahr." So, wie Henriette Kretz, deren persönliche Geschichte bei der Veranstaltung im Kloster Jakobsberg bei Bingen Schülerinnen und Schüler zu Tränen rührte.
Neue Wege – Kann Künstliche Intelligenz Erfahrungen zugänglich machen?
Die Zeitzeuginnen und -zeugen des Holocaust sind inzwischen hochbetagt. Sie werden nicht mehr lange ihre Erinnerungen an Exil und Shoah teilen können. Wie lassen sich ihre persönlichen Erfahrungen auch in Zukunft noch jungen Menschen zugänglich machen? Die Deutsche Nationalbibliothek in Frankfurt geht dafür einen neuen Weg, um mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz Gegenwart und Geschichte zu verbinden und Zeitzeugenschaft auf eine lebendige Weise zu vermitteln.
Für die Ausstellung „Frag nach! sind interaktive digitale Interviews mit der Zeitzeugin Inge Auerbacher und dem Zeitzeugen Kurt S. Maier entstanden, die beide in den USA leben.
Die digitalen interaktiven Interviews werden seit September 2023 lebensgroß im Wechselausstellungsbereich des Exilarchivs der Deutschen Nationalbibliothek präsentiert. So soll eine neue, digitale Form der Begegnung entstehen, bei der Besucherinnen und Besucher die Möglichkeit haben, mit dem digitalen interaktiven Interview in Dialog zu treten.
Die Interviews sind eingebettet in eine umfangreiche Ausstellung, die den Biografien von Inge Auerbacher und Kurt S. Maier nachgeht, von ihrem Aufwachsen über Verfolgung und Deportation bis zur Auswanderung in die USA und ihrem Leben dort.
Stephanie Roth vom Maximilian-Kolbe-Werk findet es gut, solche Möglichkeiten einzusetzen: "Denn es ist ja Fakt, dass es in baldiger Zukunft keine Überlebenden mehr geben wird, mit denen man persönlich sprechen kann. Und dann müssen wir auf andere Mittel zurückgreifen." Was man dokumentieren und aufzeichnen könne, um es in Zukunft weiterzugeben, sollte man auf jeden Fall nutzen, meint sie, es seien "die letzten Chancen, die wir noch haben."