Plötzlich in einer Schocksituation: Ein Überfall kann jeden treffen, unerwartet und brutal. Für viele Opfer beginnt danach der lange Weg zur Erholung – sowohl der physischen, als auch der psychischen. Wie sich echte Trauma äußern können und wie damit umgegangen werden kann, erklärt Dr. Janina Geib, Chefärztin der Psychosomatischen Klinik am Westpfalz-Klinikum in Kaiserslautern.
SWR1: Ein Überfall kann auch tiefgreifende psychische Auswirkungen haben. Welche typischen Reaktionen sehen Sie bei Betroffenen?
Janina Geib: Die Reaktionen reichen tatsächlich von erstarrt, still, sich wie taub fühlen über verwirrt, desorientiert bis hinzu verzweifelt oder wütend, schreiend. Teilweise zeigen sich die Patienten in der Akutsituation niedergeschlagen, traurig, weinend oder eben auch ganz kontrolliert. Das kommt total darauf an.
Wichtig ist auch, dass man insgesamt weiß, dass der größte Teil der Bevölkerung im Laufe des Lebens ein schwerwiegendes Ereignis, welches auch tatsächlich die Traumakriterien erfüllt, erlebt. Und die meisten Betroffenen entwickeln daraufhin eben keine Traumafolgestörung.
13 Minuten Todesangst Trauma "Überfall" - Rita aus Gau-Algesheim kämpft mit ihren Erinnerungen
Viereinhalb Jahre ist es her, da wurde Rita bei einem Überfall in ihrem Geschäft in Gau-Algesheim schwer verletzt. Bis heute leidet sie unter den schrecklichen Erinnerungen.
SWR1: Beim Thema körperliche Verletzungen wissen viele von uns, was gute Erste-Hilfe-Maßnahmen sind. Wie sähe das beispielsweise nach einem Überfall aus, was sollte man als Erstes unternehmen?
Geib: Als Betroffener ist es ganz wichtig, sich vor allem auch Zeit zu geben. Das ist nämlich ganz unterschiedlich. Die Symptome sind zum Teil nicht sofort da, die entwickeln sich eventuell innerhalb von Stunden, bis manchmal auch Tagen. (...) Wenn die Bilder des Vorfalls zum Beispiel immer wieder hochkommen. Das ist am Anfang normal. Das zeigt doch einfach, das Gehirn ist damit beschäftigt. Prinzipiell ist es so, wenn die eigenen Kompensationsstrategien überhaupt nicht dafür ausreichen, dann entwickelt sich erst eine anhaltende Störung.
SWR1: Kann man ein Trauma auch in Eigentherapie bewältigen?
Geib: (...) Nicht jedes Ereignis ist auch tatsächlich ein Trauma im psychiatrischen Sinn. Wir verstehen darunter eine außergewöhnliche Bedrohung katastrophalen Ausmaßes, die bei jedem eine tiefgreifende Verzweiflung hervorrufen würde. So steht es bei uns in der Diagnosekriterien. Nicht jeder bedarf auch einer Behandlung, weil das Gehirn in der Lage ist, die Dinge zu verarbeiten.
Man weiß auch: Wenn das Ereignis diesen Traumabegriff verdient, dann leben ein Drittel der Patienten ganz normal weiter. Bei einem Drittel kommt es sogar zum posttraumatischen Wachstum, also dass sie sich neu ausrichten, auch da gestärkt herausgehen, weil sie das verarbeitet haben. Und nur ein Drittel erleben eine Traumafolgestörung.
SWR1: Wie behandeln Sie die Traumafolgestörung?
Geib: (...) Es gibt eine ganze Reihe von unterschiedlichen Psychotherapieverfahren, die da zur Anwendung kommen. Gemeinsam haben sie alle, dass man eine Konfrontation mit den Erinnerungen durchführt. Und da geht es darum, als Ziel bestehende Belastungssymptome zu reduzieren und individuelle Bewältigungsstrategien zu fördern. Denn die Leute bringen alle was mit, jeder hat schon mal unangenehme oder unschöne Erfahrungen gemacht und jeder hat ein gewisses Repertoire, mit dem er auf Stressreaktionen reagiert. (...)
Aber die meisten Patienten profitieren nicht direkt von einer Therapie, das heißt, es ist wichtig, erstmal zu gucken, dem Ganzen Zeit zu geben, den normalen Anpassungen auch Zeit und Raum zu gewähren. Wenn dann Symptome bleiben oder wenn die Traumasymptome direkt so stark ausgeprägt sind, dass es tatsächlich auch die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung gibt (...), dann würde man auch mit einer wirklichen Therapie einsteigen. Wie reagiert unser Gehirn darauf, wie werden traumatische Erlebnisse bewältigt? Das führt dann auch häufig schon zu einer deutlichen Entlastung, wenn der Betroffene erfährt, das ist gerade völlig normal, wie ich mich fühle und das hat auch was mit der Verarbeitung zu tun. Und es bedeutet noch nicht, dass ich schwerwiegende Folgen davon trage.
SWR1: Sind psychologische Folgen eines Kriminalitätsdelikts, also Opfer geworden zu sein, eigentlich anders zu therapieren als beispielsweise die psychische Folge des Verlusts eines nahen Verwandten?
Geib: Prinzipiell ist das alles unter dem Traumabegriff zusammengefasst und wird dann genauso mit den Strategien auch bearbeitet. Und es geht immer um den Umgang von Erinnerungen und den Symptomen. Wie man damit umgeht, wird dann eingeübt und auch vermittelt.
Das Gespräch führte SWR1 Moderator Hanns Lohmann.