Dr. Melanie Wolfers begleitet Menschen in Entscheidungsprozessen und hat das Buch "Atlas der unbegangenen Wege - Eine Reise zu dir selbst" geschrieben.
Außerdem spricht sie in ihrem Podcast "Ganz schön mutig" über die Kunst, neue Wege einzuschlagen. Im SWR1 Interview teilt sie mit uns ihre wichtigsten Erkenntnisse und Tipps für mutige Lebensentscheidungen und Neuanfänge.
Neuanfang wagen: Über den Mut, vertrautes Altes hinter sich zu lassen
SWR1: Sie sind selbst studierte Theologin, Philosophin, waren Dozentin und haben sich dann für ein Leben als Ordensfrau entschieden. Wie war Ihr persönlicher Bedarf an Mut für diese Entscheidung?
Wolfers: Auf das eigene Herz zu hören und gerade, wenn es um so eine weitreichende Entscheidung geht, das das braucht Mut. Ich habe mich pudelwohl gefühlt in meiner Stelle, unter meinen Freunden und habe mit diesem Schritt in die Ordensgemeinschaft auch viel Gutes hinter mir gelassen. [...]
Ich wusste damals nicht, ob meine Sehnsucht aufgeht, dass das wirklich mein richtiger Weg ist in der Gemeinschaft. Es hat einiges an Mut gebraucht.
Die Kunst der Entscheidung: Wie man mutige Schritte wagt
SWR1: Sie haben Ihr beruflich erfolgreiches Leben hinter sich gelassen und sich für die Gemeinschaft der Salvatorianerinnen entschieden. Was hat Sie zu diesem Wandel bewegt?
Wolfers: Ich wollte ein Leben gemeinsam mit anderen führen, wo der Glaube Platz hat und eine Rolle spielt. Ein Leben aus Stille und Meditation und wo wir uns auch gemeinsam für eine bessere Welt einsetzen.
Mich hat einfach unser Lebensstil sehr angesprochen. Wir leben in kleinen Gemeinschaften zu viert, zu fünft, gehen verschiedenen Berufen nach, sind sehr unterschiedliche Frauen – und auch starke Frauen haben in der Gemeinschaft Platz. Natürlich habe ich auch einen Beruf hinter mir gelassen mit hohem beruflichem Ansehen, aber auch wir als Salvatorianerinnen sind durchaus kräftig im Beruf unterwegs.
SWR1: Gab es Momente, in denen Sie Ihre Entscheidung infrage gestellt haben – ganz ehrlich?
Wolfers: Ja, natürlich. […] Es gibt mal Ärger oder auch mal schwere Zeiten. Aber ich habe bislang nie grundsätzlich meinen Weg in Frage gestellt.
Mut ist, wenn ich trotz und mit meiner Angst etwas wage.
"Mutmuskel" trainieren: Warum jede Entscheidung eine Chance ist
SWR1: Ihr Podcast trägt den Titel "Ganz schön mutig". Kann man Mut lernen?
Wolfers: Ja. Ich spreche gerne vom "Mutmuskel". Ein Muskel wird kräftig, wenn wir ihn trainieren. Wenn ich viel mit Hanteln trainiere, wird mein Bizeps stärker.
Mut ist, wenn ich trotz und mit meiner Angst etwas wage, […] weil mir das, was ich vor Augen hab, wichtiger ist. Dadurch wird mein "Mutmuskel" ein Stückchen stärker. Deswegen ist für mich auch eine persönliche Lebensmaxime: "Melanie tu' immer wieder mal etwas, wovor du ein bisschen Angst hast!"
Melanie Wolfers in SWR1 Leute
Pro- und Contra-Listen: Ein sinnvolles Werkzeug zur Entscheidungsfindung?
SWR1: Eine wichtige Lebensentscheidung zu treffen, erfordert oft eine bestimmte Herangehensweise. Wie hilfreich finden Sie es, Pro- und Contra-Listen zu erstellen?
Wolfers: Mit einer Pro- und Contra-Liste ziehen Sie Ihren Kopf zu Rate und das ist ziemlich sinnvoll, weil wir uns mit unserem Verstand Argumente überlegen können, die dafür und dagegen sprechen. Wir können Folgen abwägen, wohin welche Entscheidung führt – und das ist natürlich ganz wichtig. Nicht, dass wir hinterher eine Entscheidung bereuen, weil wir sagen, ich habe mich nicht genügend informiert oder genügend nachgedacht.
Zugleich möchte ich bei dem Pro- und Contra-Listen auf einen Punkt aufmerksam machen. Es ist ja nicht nur die Frage, mache ich mich mit einer Kneipe selbständig, oder nicht? Sondern man hat ja immer eine zweite Alternative. Sonst stünde man nicht vor einer Entscheidung: Mache ich mich selbständig oder bleibe ich angestellt in dem Restaurant, in dem ich arbeite? Dann ist es ziemlich hilfreich, jede Option für sich zu betrachten, also Pro und Contra aufzuschreiben […] und sie nicht gleich unmittelbar miteinander zu vergleichen.
Das Bauchgefühl greift auf unser emotionales Erfahrungswissen zurück.
Entscheidungen mit Bauchgefühl: Der Schlüssel zu mutigen Neuanfängen
SWR1: Spielt das Bauchgefühl bei solchen Entscheidungen auch eine Rolle?
Wolfers: Auf jeden Fall. Wir sind ja nicht nur Kopf, sondern haben auch Emotionen, eine Intuition und ein Bauchgefühl. Wenn man merkt, das fühlt sich gut an, häufig sogar körperlich – da kann ich tief durchatmen oder mir schnürt es den Hals zu. Das sind emotionale Reaktionen und das Bauchgefühl greift auf unser emotionales Erfahrungswissen zurück.
Wir haben schon viel Erfahrung mit uns gemacht, was wir gut können, wo wir uns überfordern, was sich bewährt hat und was nicht. Das ist gar nicht so sehr auf der rationalen Ebene angesiedelt, sondern in unseren Emotionen gespeichert und deswegen ist es wichtig, auch das Bauchgefühl zu Rate zu ziehen.
Wir Menschen sind Zweibeiner. Wir haben zwei Beine und eine Entscheidung ist umso besser aufgestellt, je mehr sie auf beiden Beinen steht, dass wir unsere Vernunft und unser Denken anstrengen und unser Bauchgefühl mit einbeziehen.
Mut und Verantwortung: Wie man schwierige Entscheidungen richtig trifft
SWR1: Rahmenbedingungen wie Unabhängigkeit oder familiäre Verantwortung spielen bei existenziellen Entscheidungen oft auch eine Rolle. Doch inwiefern sind sie tatsächlich entscheidend?
Wolfers: Es ist natürlich wichtig zu schauen, in welchen Verantwortungen ich mich befinde. […] Je mehr Verantwortung ich zum Beispiel für Kinder oder den Partner, die Partnerin habe, desto mehr gilt es die Folgen abzuwägen und miteinander zu besprechen.
Können wir uns das so vorstellen? Die Entscheidung soll doch gerne gemeinsam getragen werden bei weitreichenden Entscheidungen.
Neuanfang mit Mut: Praktische Tipps, um die Angst zu überwinden
SWR1: Was raten Sie jemandem, der schon lange über eine weitreichende Entscheidung nachdenkt – zum Beispiel den Schritt in die Selbstständigkeit –, sich aber nicht so recht traut, ihn zu wagen?
Wolfers: Das ist normal bei weitreichenden Entscheidungen, dass Angst mitspielt. Drei Punkte:
- Erinnere dich an gelungene Neuanfänge in deinem Leben und daran, was dich damals geängstigt hat und befähigt hat, dennoch den Schritt zu wagen.
- Sei im Gespräch mit Menschen, die einen guten Blick fürs Leben haben, die dich unterstützen, dir nahe sind und auch in der Lage sind und den Mut haben, dir kritische Fragen zu stellen.
- Nimm dir immer wieder Zeit, innezuhalten und zu reflektieren. Was sind meine Gaben, was sind meine Grenzen, was bewegt mich emotional? Denn nur wenn wir aus unserem Inneren heraus eine Entscheidung treffen, dann haben wir auch den inneren Halt, um ihr auch treu zu sein, wenn uns Gegenwind uns ins Gesicht bläst.
Das Gespräch führte Hanns Lohmann.