Die Politikwissenschaftlerin und Buchautorin Heike Leitschuh hat sich für ihr Buch "Ich zuerst! Gesellschaft auf dem Ego-Trip" mit dem Thema beschäftigt. Sie hat mit Menschen im öffentlichen Dienst, im Sport, in Schulen, in Krankenhäusern, mit Forschern und Politikerinnen über Egoismus gesprochen. Was die Ursachen für egoistisches Verhalten sind, berichtet sie im Interview.
Gründe für egoistisches Verhalten
SWR1: Egoistisches Verhalten ist eigentlich auch normal. Warum ist das so?
Heike Leitschuh: Meines Erachtens liegt es daran, dass die Menschen wahnsinnig unter Druck sind. Wir leben seit mindestens 30 Jahren in einer Gesellschaft, wo der Neoliberalismus eine ganz wichtige Bedeutung hat. Der Neoliberalismus fußt quasi auf der Idee, dass es sehr stark auf das Individuum ankommt. Und wenn Sie immer gesagt kriegen: "Du bist eigentlich allein, du musst dich um dich selbst kümmern", dann ist der Weg nicht weit zum "ich zuerst".
Das heißt, eigentlich sind die Leute gar nicht so egoistisch oder kalt, sondern sie sind mehr angstgetrieben. Konkurrenz spielt eine große Rolle und Stress. Wenn Sie ständig das Gefühl haben, Sie müssen alles gleichzeitig schaffen. Sie müssen sich um Familie, Kinder, um ihr eigenes Fortkommen kümmern und es wird viel von Ihnen verlangt, dann löst das Stress aus. Und in diesem Stress wird schon mal um sich gehauen. (...)
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Umgang mit Egoisten und "Ichlingen"
SWR1: Was hilft mir persönlich im Umgang mit solchen "Ichlingen"? Immer zurückzustecken macht einen doch fertig.
Leitschuh: Das Falscheste, was man machen kann, ist genauso zu sein. Also auch die Ellenbogen auszufahren, herumzublaffen. Sondern erst recht freundlich zu sein, erst recht respektvoll zu sein. Und natürlich auch mal sich selber überprüfen. Also es geht darum, eine kulturelle Praxis einzuüben, die sehr bewusst anders ist.
Leitschuh: Politik sollte aktiv werden
SWR1: Ist das etwas, was ich für mich tue, wenn ich zu jemandem sehr freundlich bin, der mich anblafft? Denn ich gehe davon aus, dass dieses unfreundliche Gegenüber das gar nicht mitbekommt.
Leitschuh: Es hilft Ihnen. Aber natürlich heißt es nicht, dass man nicht auch mal den Mund aufmachen kann und die Menschen darauf hinweisen, was sie da eigentlich tun. Das heißt, nicht alles hinnehmen, auch mal thematisieren. Das ist fürs Alltagsverhalten wichtig, aber ich glaube, es wäre auch wichtig, dass es öffentlich thematisiert wird.
Der nächste Schritt wäre, dass sich die Politik auch mal hinterfragt. Was haben wir da eigentlich ausgelöst in den letzten Jahren? Was ist eigentlich solidarische Politik? Beim Beispiel drängeln auf der Straße wäre ein Tempolimit eine super Idee, um einfach mal ein bisschen mehr Rücksicht in den Straßenverkehr zu bringen. Da gibt es natürlich auch jede Menge Möglichkeiten, wo Politik aktiv werden kann.
Das Gespräch führte SWR1 Moderator Christian Balser.