#weltkrebstag

Brief an den Krebs

Stand
Autor/in
Adrian Beric

Kann man das überhaupt? Kann man einen Brief an den Krebs schreiben? Ein sehr persönlicher Brief an den Krebs von SWR1 Moderator Adrian Beric.

Lieber würde ich einen Liebesbrief schreiben. An einen Menschen, den ich geliebt habe.

Ich bin jung damals. Ein Twen. Und ich bin tragisch verliebt. Eine junge Frau. Sie ist Mitte 20. Sie steckt in einer Beziehung fest. Ihr „Freund“ ist gewalttätig. Aber sie kann sich nicht loslösen, auch wenn wir beide in einander verliebt sind. Sie wendet sich schließlich von mir ab. Denn sie erwartet ein Kind – von ihrem gewalttätigen Freund.

Wenige Jahre später finden wir doch zueinander. Sie hat es geschafft, sich zu trennen.

Wir können unser Glück nicht fassen.

Aber nach zwei Wochen wendet sie sich von mir ab.

Eines Tages meldet sich eine Bekannte von mir. Ob ich von meiner früheren Liebe gehört habe, sie sei so schwer krank geworden.

Ich besuche sie. In einem Reha-Zentrum an der Nordsee. Darmkrebs. Sie wirkt völlig gesund auf mich. „Ich hab immer Pech“, sagt sie mir.

Sie wollte mich sehen, um mir zwei Dinge zu sagen.

Erstens, dass sie mich geliebt habe. Zweitens: Sie konnte diese Liebe nicht aushalten. Sie sei es nicht gewöhnt gewesen, glücklich zu sein. Sie habe nicht gewusst, wie man mit Glück umgehe. Unglück sei ihr leichter gefallen. Eine sportliche Übung.

„Aber das hier“, sagt sie und zeigt dabei auf ihren Bauch, „das ist nicht sportlich“.

Darmkrebs ist eine Erkrankung des hohen Alters, völlig untypisch für junge Menschen. Und er liebt junge Menschen, weil er sich dann nur umso rücksichtsloser durch den Körper frisst.

Elf Monate nach der Diagnose ist sie tot.

In den Jahren danach habe ich geheiratet, ich habe Kinder in die Welt gesetzt, ich habe mich scheiden lassen. Ich habe am Sinn des Lebens gezweifelt, mich über die schönsten Kleinigkeiten gefreut.

Aber immer wieder denke ich an damals zurück. Ich bin bei ihrer Beerdigung. Zwei Dinge werde ich nie vergessen. Die versteinerten Gesichter, weil alle den dreijährigen Sohn der Toten sehen, der fröhlich lachend durch die Reihen tanzt und nicht versteht, was passiert ist. Und den Blick der Mutter, die ihre eigene Tochter beerdigen muss.

Sie war 29.

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Adrian Beric