BRIEFE AN DEN KREBS

Stand
Autor/in
Adrian Beric
Moderator Adrian Beric aus dem SWR1 Team
Katrin Kleinbrahm
Moderatorin Katrin Kleinbrahm aus dem SWR1 Team
Ines Hennings
Stefanie Meinecke
Stefanie Meinecke aus dem SWR1 Team

Verfluchen, beschimpfen, akzeptieren: Zum Weltkrebstag vier sehr persönliche Briefe aus der SWR1 Redaktion.

Lieber würde ich einen Liebesbrief schreiben. An einen Menschen, den ich geliebt habe.

Ich bin jung damals. Ein Twen. Und ich bin tragisch verliebt. Eine junge Frau. Sie ist Mitte 20. Sie steckt in einer Beziehung fest. Ihr „Freund“ ist gewalttätig. Aber sie kann sich nicht loslösen, auch wenn wir beide in einander verliebt sind. Sie wendet sich schließlich von mir ab. Denn sie erwartet ein Kind – von ihrem gewalttätigen Freund.

Wenige Jahre später finden wir doch zueinander. Sie hat es geschafft, sich zu trennen.

Wir können unser Glück nicht fassen.

Aber nach zwei Wochen wendet sie sich von mir ab.

Eines Tages meldet sich eine Bekannte von mir. Ob ich von meiner früheren Liebe gehört habe, sie sei so schwer krank geworden.

Ich besuche sie. In einem Reha-Zentrum an der Nordsee. Darmkrebs. Sie wirkt völlig gesund auf mich. „Ich hab immer Pech“, sagt sie mir.

Sie wollte mich sehen, um mir zwei Dinge zu sagen.

Erstens, dass sie mich geliebt habe. Zweitens: Sie konnte diese Liebe nicht aushalten. Sie sei es nicht gewöhnt gewesen, glücklich zu sein. Sie habe nicht gewusst, wie man mit Glück umgehe. Unglück sei ihr leichter gefallen. Eine sportliche Übung.

„Aber das hier“, sagt sie und zeigt dabei auf ihren Bauch, „das ist nicht sportlich“.

Darmkrebs ist eine Erkrankung des hohen Alters, völlig untypisch für junge Menschen. Und er liebt junge Menschen, weil er sich dann nur umso rücksichtsloser durch den Körper frisst.

Elf Monate nach der Diagnose ist sie tot.

In den Jahren danach habe ich geheiratet, ich habe Kinder in die Welt gesetzt, ich habe mich scheiden lassen. Ich habe am Sinn des Lebens gezweifelt, mich über die schönsten Kleinigkeiten gefreut.

Aber immer wieder denke ich an damals zurück. Ich bin bei ihrer Beerdigung. Zwei Dinge werde ich nie vergessen. Die versteinerten Gesichter, weil alle den dreijährigen Sohn der Toten sehen, der fröhlich lachend durch die Reihen tanzt und nicht versteht, was passiert ist. Und den Blick der Mutter, die ihre eigene Tochter beerdigen muss.

Sie war 29.

Hallo, Krebs. Du Arsch.

Du hast sie hinterrücks überfallen. Hast Dich klammheimlich in meiner Freundin breitgemacht, in ihrer linken Brust, den Lymphknoten. Diagnose am 41. Geburtstag, Glückwunsch. Eine Schlacht um Leben und Tod. Die Angst, zwei kleine Kinder zurücklassen zu müssen. Fast zwei Jahre Kampf, Kotzen und Tränen. Ihre, meine.

Du hast sie gequält.

Ich habe Dich verflucht, nicht nur in den langen Stunden im Krankenhausflur.

Chemo-Therapie. Dann die OP, Brust ab, ein leuchtender Novembertag, auf den wir lange hingelitten hatten. Viel, viel Hoffnung. Der Zusammenbruch nach wenigen Tagen: Du warst immer noch da. Verdammte Scheiße! Verzweiflung. Zweite OP.

Danach warst du weg. Die Angst bleibt. Dass du zurückkommst und dann alles zerstörst. Du hast noch viel zu oft den längeren Atem.

Meine Freundin ist stärker als Du.

Aber weißt du was? Meine Freundin ist stärker als Du. In ein paar Wochen wird sie 44. Sie hat ihr Leben auf links gedreht. Es ist nichts mehr wie zuvor. Aber sie hadert nicht, sie heult nicht. Stattdessen genießt sie ihr Leben. Macht Pläne. Freut sich an so vielen Dingen. Einzelne Momente kann sie wahrnehmen wie nie zuvor. Intensiver. Schärfer. Wie sie selbst sagt: kontrastreicher, bis ins letzte Körnchen. Ich bin wahnsinnig stolz auf sie.

Und deshalb habe ich dir an dieser Stelle nur noch eines zu sagen: Du hast verloren – egal, was kommt.

Go fuck yourself.

Krebs – heute ist Dein Tag.

Du hast vor zehn Jahren mein Leben verändert und meine Mutter hat letztendlich vor Dir – mit Dir – kapituliert. Aber ganz langsam und eins nach dem anderen – Du hast Dich ja schließlich auch in unsere Familie geschlichen.

Es sollte noch ein toller Sommerabschluss sein - 2010 - eine Woche Rhodos. Die erste Klasse stand für unsere Tochter vor der Tür - der erste Flug, das erste Mal Griechenland. Schön und unvergesslich sollte es für unsere Sechsjährige werden. Aber dann kam alles anders.

Es war ein kleiner Notizzettel, der auf dem Tisch in unserem Hotelzimmer lag.

"Please call your brother Philipp"

Um Leben und Tod würde es gehen - eine Fifty-Fifty-Chance würde unsere Mutter haben. Die Frau, mit der ich erst noch vor zwei Tagen telefoniert und mich von ihr für eine Woche verabschiedet hatte. Kalt sei es ihr immer, hatte sie noch gesagt… und Bauchweh würde sie manchmal plagen…

Wäre sie doch mal zum Arzt gegangen - Darmkrebs im Endstadium mit Metastasenbefall in Leber und Niere. Die Frage, sollte man überhaupt noch operieren, stand im Raum und wir Kinder sollten jetzt entscheiden… Natürlich wurde sie operiert!

Wie haben wir als Familie diese Woche auf Rhodos, die so schön hätte werden sollen, "rumgebracht"?  Mit vielen Tränen, Gesprächen und einer exorbitant hohen Telefon-Rechnung.

Direkt vom Flughafen bin ich ins Krankenhaus gefahren

Nicht nur der Krebs, sondern auch eine Demenz hatten von meiner Mutter Besitz ergriffen, von der wir vorher so kaum etwas mitbekommen hatten.

Es war sofort klar, dass meine Mutter nach dem Krankenhausaufenthalt nicht mehr alleine nach Hause zurückkehren konnte. Aus Platzgründen kamen dann nur wir in Frage - und ohne Wenn und Aber kam sie mit zu uns.

In dem Winter gab es unvergesslich viel Schnee. Es folgten Wochen mit Chemotherapie und einer begleitenden homöopathische Behandlung, die meiner Mutter so viel Kraft gab, an der standesamtlichen Hochzeit meines Bruders teilzunehmen.

Das Hochzeitsfoto ist jetzt das letzte Familienfoto

Was dann noch die Demenz aus einem Menschen macht, ist noch ein anderes Thema. Meine Mutter hatte keinen Tag- und Nachtrythmus mehr: Nachts machte sie Frühstück für uns alle, kochte riesige Mengen Kaffee in allen auffindbaren Gefäßen. Als dann noch gekochte Eier aus dem Wasserkocher dazukamen, wurde uns die Situation irgendwann zu gefährlich.

Ein Kurzzeitpflegeplatz am Ort brachte uns allen dann eine große Erleichterung. Aus einer anfänglichen Teilnahme am Tagesprogramm wurde eine Verlegung auf die Demenzstation. Sterbebegleitend unterstütze ein Palliativmediziner meine Mutter.

Sie war so gut wie nie alleine: Am Tag waren wir für sie da, in der Nacht ehrenamtliche Mitarbeiter des Hospizes.

Nur am Abend des 30. Mai -

Ich war kurz zum Abendessen nach Hause gegangen…

Lieber Krebs, alles gut jetzt.  Hab´s  begriffen.

Du musst es mir nicht mehr beweisen, wie schnell und grauenvoll der Mensch unter Deinem Druck vergehen kann. Hab genug verloren, genug verflucht. Geheult. Betrauert. Still beweint. Erst die eine Freundin, dann die andere, dann den Vater.

Aber weiß Du was?

Ohne Dich wär' vieles ungelebt geblieben.

Du hast uns die Pistole auf die Brust gesetzt. Die Krebs-Diagnose - jetzt oder nie, spuckt endlich aus, was ihr ausspucken wollt: eure Wut, die Trostlosigkeiten und Ängste und dann eure Lebensweisheit und eure Zuneigung.

Meine kostbarste Erinnerung an den Vater ist dieses "Ich Dich auch" - ins Ohr geflüstert. Und die Hand lässt er nicht mehr los, bis es zu Ende ist.

So geht das also mit dem Sterben - große Lebenskunst.

Einmal hab ich den Vater von der Chemo abgeholt. Wackelig steht er da, stützt sich auf eine Motorhaube, kommt ins Kippeln und hält auf einmal einen Mercedesstern in der Hand…

Mensch Vadder! Alter Revoluzzer, tut man nicht, wenn man ein Leben lang CDU wählt…Wir machen uns vor Lachen fast in die Hose. "Nix der Mama sagen", meint er im Auto. Da sitzt kein alter Mann neben mir, da sitzt ein kleiner Junge.

Vielleicht hätte ich den nie kennengelernt. Und all das andere, was der Vater und die Freundinnen in mich gepflanzt haben, auch nicht.

Aber jetzt ist auch gut, Krebs! Ich hab´s verstanden!

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