Eine elektrische Kaffeemühle steht auf einem Tisch, eine Frau direkt davor. Sie ist Teilnehmerin an einem psychologischen Experiment. Der Versuchsleiter steht ihr gegenüber, reicht Gegenstände an, die sie auf Knopfdruck mit ihrer Kaffeemühle zerkleinern soll. Sie denkt, es gehe darum, zu erforschen, wie es sich anfühlt, Dinge zu zerstören. Doch das ist nicht die ganze Wahrheit.
Das Gehorsamkeitsexperiment
Zuerst erhält sie Kaffeebohnen: Die Frau füllt sie in die Mühle, drückt auf den Knopf, nicht lange und die Bohnen sind nur noch Pulver. Danach muss sie einen kurzen Fragebogen ausfüllen – wie fühlt es sich an, Kaffeebohnen zu zerstören? Aufregend? Angenehm?
Als nächstes wandert ein gefalteter Papierkranich in die Kaffeemühle, wieder ein kurzer Fragebogen, und dann folgt der Höhepunkt des Experiments: Der Versuchsleiter reicht ihr ein Reagenzglas über den Tisch, darin sieben lebende Käfer. Auch die soll sie einen nach dem anderen in der Kaffeemühle zermahlen.
An diesem Punkt wird es spannend. Gehorcht die Frau dem Versuchsleiter?
Felix Götz hat mit seinem Forschungsteam die Ergebnisse dieser Versuche vor kurzem in der Fachzeitschrift Scientific Reports veröffentlicht.
Wie weit gehorchen wir?
Einen Käfer zu töten – da haben die meisten Menschen erstmal Hemmungen. Besonders, wenn er in einem Reagenzglas ist und uns nicht weiter stört. Bei ähnlichen Versuchen mit Fischen weigerten sich alle Teilnehmer, die Tiere zu töten. Doch in den Versuchen von Götz und seinen Kollegen und Kolleginnen drücken viele den Knopf – Käfer zu töten, scheint für viele noch zu gehen.
Doch nicht ohne Widerstand. Zögerten die Versuchspersonen, das Tier zu zermahlen, wies der Versuchsleiter sie wieder an, es zu tun – er trage die Verantwortung – es ginge hier um eine wissenschaftliche Fragestellung. Erst beim dritten NEIN der Versuchsperson wurde das Experiment abgebrochen.
Natürlich ist den Käfern bei diesem Versuch nichts passiert, die Kaffeemühlen waren so präpariert, dass es nur so aussah, als wären sie zermahlen worden. Doch das wussten die Versuchspersonen nicht. Das Ergebnis der Studie überraschte auch den Autor.
Zwar wurde ihnen auch am Anfang gesagt, dass sie jederzeit mit den Versuchen aufhören können. Doch eben nur ein Mal. In einer Kontrollgruppe wurden die Versuchspersonen immer wieder darauf hingewiesen, dass sie selbst entscheiden dürfen, was sie mitmachen und was nicht. In dieser Gruppe wurden deutlich weniger Käfer vermeintlich zermahlen.
Bei vielen dürfe bei diesen Versuchen die berühmten Milgram-Experimente aus den 60er Jahren in den Sinn kommen. Dabei wurden Versuchspersonen angewiesen, einem anderen Menschen Stromstöße zu verpassen, wenn der einen Fehler macht. Das vermeintliche Opfer war ein Schauspieler und wurde nicht wirklich gefoltert. Doch das wusste die Versuchsperson nicht, sie hielt die Stromstöße für echt. Trotzdem: Viele gehorchten auf die Anweisung – selbst, als die Stromstöße eine tödliche Stärke erreichten. Diese Experimente waren sehr eindrucksvoll. Heute könnte man solche Versuche nicht mehr durchführen, ethisch ist das kaum vertretbar.
Doch für Felix Götz ist auch eine andere Fragestellung interessant, als in den Experimenten von Stanley Milgram:
Verantwortungsgefühl in "brenzligen" Situationen
Ihm ging es eigentlich mehr darum:
Dafür führten die Psychologen und Psychologinnen noch weitere Versuche durch: Bei einer weiteren Versuchsreihe, bei der vermeintlich ein Käfer getötet wurde, fragten sie ab, wie verantwortlich sich die Menschen für ihre Taten fühlen.
Eine Theorie von Stanley Milgram besagt nämlich, dass Menschen die Verantwortung an den Befehlsgeber abgeben, wenn es brenzlig wird. So können sie auch gehorchen, wenn die Taten gegen ihre eigenen Werte gehen .
Die Ergebnisse aus Regensburg zeigen aber das Gegenteil: Die Versuchspersonen fühlten sich sehr verantwortlich für die Zerstörung der Käfer, deutlich stärker als für die Zerstörung der Kaffeebohnen.
Insgesamt zeigt die Auswertung der Fragebögen und von zusätzlichen Messungen der Hautleitfähigkeit der Probanden während des Versuchs: Die Leute, die gehorchten, fühlten sich unwohl – deutlich mehr, als die Menschen, die sich weigerten und die Käfer am Leben ließen.
Aber wieso machen die Leute dann mit, wenn sie sich sogar körperlich unwohl fühlen? Es zwingt sie ja niemand?
Ein Erklärungsansatz der deutschen Forschenden: Die Menschen sollten nicht einfach als Individuen gesehen werden, die alleine, nur für sich handeln. Denn sie befinden sich ja in einer sozialen Situation.
Dazu komme: Auch der freie Wille sei abhängig von der sozialen Situation. Die Experimente würden zeigen, so Götz: Wenn man die Leute an ihren freien Willen erinnert, verhalten sie sich anders, als wenn man das nicht macht.
Der Mensch habe einen sehr großen Wunsch nach Kooperation, den müsse man mitdenken.
In Zukunft müsse daher weiter erforscht werden, welche Dynamik zwischen dem Befehlsgeber und der gehorchenden Person besteht. Denn eine einzelne Person mit einer Kaffeemühle in der Hand käme wohl in den wenigsten Fällen auf die Idee, einen Käfer darin zu zermahlen.