Tumoren im Kindesalter unterscheiden sich von denen Erwachsener, was die Tumortypen, den Aufbau und letztlich auch die Therapie dann angeht. Die Weltgesundheitsorganisation WHO wird bald die erste Ausgabe ihrer Klassifikation kindlicher Krebserkrankungen veröffentlichen. An der Klassifikation haben auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Deutschen Krebsforschungszentrums und des Hopp-Kindertumorzentrums in Heidelberg maßgeblich mitgearbeitet. Mit den neuen Richtlinien sollen Ärztinnen und Ärzte weltweit betroffene Kinder bestmöglich behandeln können.
Krebserkrankungen bei Kindern selten, aber Tendenz steigend
Derzeit erkranken in Deutschland rund 2.000 Kinder neu an Krebs, sagt Prof. Stefan Pfister, Direktor des Hopp-Kindertumorzentrums in Heidelberg. Wenn man über einen längeren Zeitraum schaue, steigen die Zahlen tatsächlich, ohne dass man genauer wisse, warum.
Die WHO habe dazu, so Pfister, vor einigen Jahren einen Bericht abgegeben. Diesen Trend gebe es nicht nur in einzelnen Ländern, sondern es gebe insgesamt einen leichten Anstieg, der auch bisher ungebremst weitergehe.
Bei welchen Krebsarten die Zahlen weiter nach oben gehen, ist zumindest mit den großen Registern weltweit oder in Deutschland nicht genau aufschlüsselbar, weil die jeweiligen Einzelerkrankungen wie bestimmte Krebsarten hier nicht genau erfasst sind.
Weniger Leukämie bei Kindern in ehemaliger DDR
Man wisse aber zum Beispiel, so Pfister, wenn man Ostdeutschland und Westdeutschland vor und nach der Wende vergleiche, dass es beispielsweise in Ostdeutschland erstaunlicherweise einen Trend zu weniger akuten Leukämien bei Kindern gab.
Das werde immer ein bisschen darauf geschoben, dass in Ostdeutschland alle Kinder ganz früh mit vielen Erregern konfrontiert wurden, weil sie ganz früh in die Kinderkrippe gegangen sind. Das sei aber nie systematisch wissenschaftlich untersucht worden. Deswegen seien das eher Trends, die man weiter untersuchen kann.
Klar ist, dass die Biologie des Krebses, also der Aufbau der Tumoren im Kindesalter, sich von den Tumoren bei Erwachsenen unterscheidet. Das hat auch Konsequenzen für die Behandlung.
Karzinome sind bei Kindern eher selten
Die allermeisten Krebserkrankungen bei Erwachsenen sind, so Pfister, die sogenannten Karzinome, wie: Brustkrebs, Darmkrebs, Prostatakrebs, Lungenkrebs und so weiter. Diese Krebsarten kommen bei Kindern extrem selten vor.
Bei Kindern dominanter sind hingegen Leukämien, Hirntumore, Bindegewebstumore und dann noch ein paar seltenere, auch sogenannte embryonale Tumore. All diese Krebsarten kommen bei Erwachsenen extrem selten vor, im einstelligen Prozentbereich.
Außerdem sei es so, dass selbst wenn eine Krebsart den gleichen Namen hat, sich häufig die Biologie des Krebses bei Kindern sehr stark von der Biologie dieses Krebses bei Erwachsenen unterscheide. Das bedeute letztlich auch, dass eine bei Erwachsene etablierte Therapie nicht zwangsläufig auch bei Kindern funktioniert.
Biologie bestimmter Krebsarten bei Kindern kann sich von der von Erwachsenen unterscheiden
Ein Beispiel dafür sind die sogenannten Glioblastome. Das ist der bösartigste aller Hirntumoren.
Das bedeutet letztlich, dass ein Glioblastom bei Kindern und Erwachsenen auch jeweils unterschiedlich behandelt werden würde.
Behandlung kann an Biologie des Krebses angepasst werden
Da man mittlerweile immer mehr über die Biologie wisse, könne man, so Pfister, auch immer mehr versuchen, die Behandlung auf die Biologie anzupassen, beziehungsweise auf die Angriffspunkte, die die Biologie einem bietet. Und das zeigt sich dann auch zunehmend in unterschiedlichen Behandlungsansätzen.
Die Behandlung von Krebs bei Kindern ist eine große Herausforderung. Weil diese Erkrankung bei Kindern so selten sei, gebe es eigentlich nicht wirklich einen Markt für die Entwicklung spezieller Medikamente, die nur für diese Tumoren ausgerichtet sind.
Es gibt bisher wenig spezifische Krebsmedikamente speziell für Kinder
Deswegen müsse man versuchen, aus dem Repertoire von Medikamenten, die Erwachsenen zur Verfügung stehen, die ja viel häufiger an Krebs erkranken, welche rauszuziehen, die von ihrer Biologie her ähnlich angreifen und dementsprechend auch bei Kindern für die Behandlung zum Einsatz kommen könnten.
Das ist auf der einen Seite natürlich ein Nachteil. Doch so, Pfister, seien die Tumoren bei Kindern in den letzten Jahren viel besser charakterisiert worden. Es gebe regulatorische Vorgaben, dass grundsätzlich alle Medikamente, die bei Erwachsenen oder für Erwachsene entwickelt worden sind und bei Kindern auch wirksam sein könnten, auch für Kinder weiterentwickelt werden müssen.
Deswegen habe man jetzt die Chance, durch die bessere Kenntnis der Biologie und durch ein ziemlich großes Repertoire an Medikamenten, die noch nie bei Kindern getestet worden sind, dann auch neue Therapien für Kinder zu identifizieren. Man spricht dann auch von einem sogenannten "Off-Label-Use".
Neu zugelassene Krebsmedikamente sollen künftig auch an Kindern getestet werden
Diese regulatorischen Änderungen, die sich jetzt gerade ergeben haben, zwingen die Firmen grundsätzlich, bevor sie die Marktzulassung für ein neues Medikament kriegen, auch bei Kindern klinische Studien zu machen. Das heißt, es wird in absehbarer Zeit eine viel größere Auswahl an klinischen Studien für Kinder geben.
Und auf der anderen Seite gebe es den Off-Label-Use, das heißt auch die Nutzung von Medikamenten für Erwachsene, auch wenn diese explizit noch nicht an Kindern getestet wurden. Diese Off-Label -Nutzung wird es nach der Einschätzung von Stefan Pfister wahrscheinlich auch weitergeben müssen, weil nicht für jede noch so seltene Erkrankung immer eine klinische Studie konzipiert werden könne.
Neute Therapieansätze im Kampf gegen Krebs bei Kindern
Es gibt auf der einen Seite ganz vielversprechende Ansätze mit sogenannten "zielgerichteten Therapien", die wirklich für eine Anwendung im Erwachsenenbereich, zum Beispiel das Lungenkarzinom oder das Melanom entwickelt worden sind und aufgrund der Vergleichbarkeit oder zumindest teilweise Vergleichbarkeit von biologischen Eigenschaften von Tumoren bei Kindern sehr erfolgreich angewendet werden.
Diese Patienten seien meistens schon bestrahlt und hätten eine Chemotherapie hinter sich. Der zweite große, sich entwickelnde Bereich seien natürlich auch die Immuntherapien: CAR-T-Zell-Therapien oder Impfungen, die ja derzeit im Zusammenhang mit der Covid-19-Impfung im Gespräch sind.