In Frankfurt haben sich nach einem Gottesdienst in einer Baptistengemeinde mehr als 200 Menschen angesteckt. Und nach privaten Feiern in Göttingen mühen sich die Behörden, eine neue Ansteckungswelle in den Griff zu bekommen: Hunderte sind in Quarantäne, in den Schulen herrscht nun Maskenpflicht.
Auch Schlachthöfe und Pflegeheime werden immer wieder zu Corona-Hotspots. Jetzt zeigt sich: solche Massenausbrüche sind wohl der entscheidende Motor der Pandemie. Forscher sprechen von Superspreading.
Infizierte stecken unterschiedlich viele Menschen an
Wieviele Menschen steckt ein Infizierter an? Das ist seit Monaten eine Schlüsselfrage im Kampf gegen das neue Coronavirus. Im Mittelpunkt stand dabei lange der R-Faktor: liegt er bei eins, steckt ein Kranker im Schnitt eine weitere Person an. Aber R ist eben nur ein Mittelwert – auch wenn neun Infizierte niemanden anstecken und nur ein einziger für zehn neue Fälle sorgt, liegt R bei eins.
Jetzt zeigen aktuelle Studien, dass die Ansteckungen bei der Corona-Pandemie sehr ungleich verteilt sind: nur 10 bis 20 Prozent der Infizierten sind wohl für 80 Prozent aller neuen Fälle verantwortlich. Forscher nennen das „Superspreading“.
Wenn die Bedingungen für das Virus besonders günstig sind, kann ein einzelner mehr als hundert andere Menschen anstecken. Das war so beim Après Ski in Ischgl, bei Clubgängern in Seoul und beim Baptistengottesdienst in Frankfurt. Aber zum Beispiel auch Kreuzfahrtschiffe sind häufige Corona-Hotspots.
Diese Faktoren begünstigen Superspreading
Zwischen all diesen Ereignissen gibt es Gemeinsamkeiten. Die erste ist banal: viele Menschen in geschlossenen Räumen. Laut einer Studie aus Japan ist die Ansteckungsgefahr in Innenräumen bis zu 19 mal höher als draußen. Viele Experten empfehlen deshalb auch häufiges Lüften in Restaurants oder Schulen.
Außerdem kommt es darauf an, wie lange man sich mit anderen in einem Raum aufhält: nur kurz zum Einkaufen oder stundenlang bei Gottesdienst oder Konzertbesuch. Und ob man still auf einem festen Platz sitzt oder sich viel bewegt. Bei schweißtreibenden Zumba-Kursen, bei denen man ordentlich ins Schnaufen kommt, wurden schon hohe Ansteckungen beobachtet -- bei ruhigen Dehnübungen wie Pilates nicht.
Auch Singen und lautes Sprechen ohne Maske machen es dem neuen Coronavirus besonders einfach, sich zu verbreiten. Außerdem kommt es auf das Timing an: kurz vor den ersten Corona-Symptomen ist man besonders ansteckend. Und manche Menschen tragen deutlich mehr Viren im Rachen als andere – über sie verbreitet sich der Erreger daher besonders stark.
Der k-Faktor beschreibt den Streuwert
Für die ungleichmäßige Ansteckung gibt es einen eigenen Meßwert: den sogenannnten k-Faktor. Bei der Grippe liegt dieser Streufaktor bei eins: das heißt, die Krankheit verbreitet sich sehr gleichmäßig. Wenn der k-Wert nur knapp über Null liegt, sind die Unterschiede dagegen gewaltig: beim alten SARS-Erreger lag k nur bei 0,16 – nur sehr wenige Menschen haben die Krankheit stark verbreitet.
Wie hoch der Wert beim neuen Corona-Virus ist, ist noch umstritten: 0,45 sagt eine Hongkonger Studie, die Christian Drosten für besonders überzeugend hält. Auch andere Studien gehen davon aus, dass Superspreading-Ereignisse ein wichtiger Motor der Pandemie sind.
Das ist einerseits eine gute Nachricht: Wenn man bei größeren Ausbrüchen alle Kontaktpersonen sofort in Quarantäne schickt, sind die Chancen zur Eindämmung gut. Andererseits ist es kein Grund zur Entwarnung: Keiner weiß, wer wann zum Superspreader wird. Auf Abstand, Masken und ein Verbot von Großveranstaltungen können wir noch lange nicht verzichten.