Erst im August hatte eine internationale Fachkommission im Magazin Lancet einen Brandbrief geschrieben. Angesichts der vielen Studien und Berichte über den schwierigen psychischen Zustand Heranwachsender haben die Fachleute einen Brandbrief geschrieben. Sie warnten, dass nun eine Art Kippunkt erreicht sei, an dem man nun als Gesamtgesellschaft handeln müsse. Die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina schlägt nun vor, als Schutzstrategie die Selbstregulationskompetenz bei jungen Menschen zu stärken. Das sei ein wichtiger Schritt, damit die Kids besser mit psychischen und körperlichen Problemen, Zukunftsängsten und Schulschwierigkeiten, aber auch gesellschaftlichen Krisen, Naturkatastrophen, Klimawandel und Kriegen umgehen könnten.
Krisen belasten vor allem junge Menschen
Heranwachsende müssen lernen, mit Scheitern umzugehen
Jörg Fegert ist Mitglied der Leopoldina und Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Ulm. Er betont, dass gerade die emotionale Selbstregulation bei Heranwachsenden sehr wichtig sei. Denn sie müssten lernen, mit Scheitern umzugehen und Ziele zu finden, die zu ihnen passen. Das Bildungssystem sollte dahin kommen, Kinder nicht vorschnell als Gescheiterte abzuschreiben, sondern ihnen zu vermitteln, dass sie im Fall eines Misserfolgs einen anderen Weg gehen können. Es sei enorm wichtig, hier früh in der Kindheit anzusetzen.
Präventionsprogramme zur Förderung psychischer Gesundheit werden nicht ausreichend evaluiert
Auf der Ebene der Bundesländer gebe es bereits zahlreiche Präventionsprogramme, um die psychische Gesundheit von Heranwachsenden zu fördern, so Fegert. Leider werde keines davon wissenschaftlich evaluiert. Die Tatsache, dass Selbstregulationskompetenzen als Schutz wirken könnten, sei dagegen bereits breit wissenschaftlich untersucht und bestätigt, das unterstreicht die Psychologin und Sprecherin der Arbeitsgruppe, Herta Flor vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim. Der Aufbau von Selbstregulationskompetenzen führe dann schließlich zu einer besseren Resilienz- also Widerstandsfähigkeit- gegenüber negativen Entwicklungen wie zum Beispiel der Klimakrise oder Kriegen, aber auch gegenüber persönlichen Schicksalsschlägen.
Selbstregulation bedeutet auch mehr Selbstbestimmung
Selbstregulation bedeute ja auch, dass man selbst etwas bestimmen kann und auf die Umgebung einwirken kann, so die Neuropsychoilogin Flor. Das sei für Kinder und Jugendliche heute besonders wichtig, da sie vielfältigen Herausforderungen ausgesetzt seien. Flor verweist auf Umfragen, nach denen Kinder und Jugendliche gerade im Schulbereich das Gefühl haben, nichts oder nur ganz wenig selbst bestimmen zu können. Hier könnte man sehr gut ansetzen.
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Selbstreguliertes Lernen soll Psyche Heranwachsender stärken
In einigen Schulen werde selbstreguliertes Lernen ja bereits umgesetzt, sagt Ulrich Trautwein, Bildungsforscher an der Uni Tübingen und ebenfalls Mitglied der Leopoldina-Expertengruppe . Leider werde das in 95 Prozent der Schulen nicht umgesetzt und es gebe auch wenig Bereitschaft, selbstreguliertes Lernen in Schulen auch tatsächlich umzusetzen. Denn das verlange natürlich Änderungen und Anpassungen, zum Beispiel auch im Unterrichtsstil der einzelnen Lehrkräfte.
Forderung nach einheitlicher Lehrqualität an den Schulen
Bildungsforscher Trautwein hält es darüber hinaus auch für nötig, dass die Lehrqualität an Schulen stärker vereinheitlicht wird. Schließlich wisse man aus zahlreichen Studien, dass zahlreiche Kinder, die eigentlich Struktur von außen benötigten, durch unterschiedliche Unterrichtsstile von Lehrenden leichter aus der Bahn geworfen würden.
Aus - und Forbildung für Fachkräfte in Schule und Kita ist notwendig
Der Tübinger Bildungsexperte betont, es gebe nicht den einen Schalter, den man da einfach umlegen könne und schon seien die Selbstregulationskompetenzen der Kids gestärkt, sondern es brauche einen breiten gesellschaftlichen Ansatz. Selbstregulation müsse auf allen Ebenen eingeübt werden und natürlich müssten die Fachkräfte in Kitas und Schule so aus und weitergebildet werden, dass sie die Kinder in Zukunft bei der Ausbildung dieser schützenden Selbstregulationskräfte unterstützen können.