In der Schweiz bebt es mehrmals täglich
Seismologisch gesehen ist die gesamte Schweiz eine Erdbebenzone. Denn unter der Schweiz kollidieren zwei Kontinentalplatten – Europa und Afrika. Entlang der Kollissionsfront schiebt sich das Gestein auf. Vor etwa 50 Millionen Jahren entstanden dort die Alpen, die bis heute wachsen.
Diese Plattengrenze ist aber keine gerade Linie sondern spannt ein Netz aus Verwerfungen durch die gesamte Schweiz. Entlang der Verwerfungen kommt es täglich zu kleineren oder größeren Beben. Seismisch aktive Zonen kann man in der Schweiz – anders als in Deutschland – kaum umgehen, wenn man nach einem geeigneten Atommüll-Standort sucht.
Tiefenlager muss Beben der Stärke 6.5 aushalten können
Gefunden hat die nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle – kurz: Nagra – ihren Tiefenlagerstandort in einem Gebiet mit mittelhoher Seismizität. Die Begründung: Dort ist das Gestein besonders geeignet, den hochradioaktiven Müll unter der Erde sicher zu versiegeln. Um den ausgewählten Standort Nördlich Lägern bebt es allerdings auch regelmäßig, meist spürt das der Menschen überhaupt nicht. Aber:
Stärkere Beben seien weder historisch aufgezeichnet, noch seien sie in Zukunft nach physikalischem Verständnis zu erwarten. Denn die Bewegung der Kontinentalplatten unter den Alpen verlangsamt sich sogar.
Die stärksten Beben, bis etwa Magnitude 6.5 kommen in der Region etwa alle tausend Jahre vor, sagt Professor Heidbach vom Geoforschungszentrum in Potsdam. Das ist im Planungshorizont des Tiefenlagers sozusagen übermorgen. Denn der hochradioaktive Müll soll dort für eine Million Jahre sicher versiegelt sein – in dieser Zeit kommt es also statistisch gesehen zu 1.000 dieser schweren Erdbeben.
In Deutschland wäre Nördlich Lägern kein Standort-Kandidat
Oberirdisch können Beben der Magnitude 6.5 verheerende Zerstörungen anrichten. In Deutschland würde Nördlich Lägern deshalb als Tiefenlager-Standort ausgeschlossen werden – zumindest nach heutiger DIN-Norm.
Dieser kategorische Ausschluss wird von Experten aber kritisiert. Denn Beobachtungen großer Beben in China, den USA und an anderen Standorten haben gezeigt, dass die seismischen Wellen im Untergrund – zum Beispiel an Kavernen und Mienen – keinen Schaden anrichten, während sie an einer freien Oberfläche große Schäden verursachen, so Heidbach. Deshalb sei die Erdbebenzone in der Schweiz kein Ausschlusskriterium.
Auch in Deutschland versuchen Experten die DIN-Regelung zu kippen – mit dem Argument, dass die Erschütterungen eines Bebens keine Gefahr für das Tiefenlager darstellen, so heißt es in einem Gutachten für das Bundesumweltamt.
Hypozentrum im Tiefenlager würde erhebliche Schäden anrichten
Durchaus gefährlich könnte es aber werden, wenn die Bruchfläche, also der Ausgangspunkt des Erdbebens, das Tiefenlager durchschlagen würde. Dann droht die Kontamination des Trinkwassers. Bahnen sich die Risse bis an die Oberfläche, könnte radioaktive Strahlung austreten.
So ein Szenario will die Nagra vermeiden. Sie hält daher Abstand zu bekannten Störzonen, an denen Brüche häufiger entstehen. Philipp Senn, Mitglied der Geschäftsleitung bei der Nagra, erklärt:
Experten kritisieren intransparente Datenlage
Bezüglich der Datenlage hagelt es aber auch Kritik: Die Nagra macht zwar Arbeitsberichte zu den Etappen der Standortsuche zugänglich. Eine transparente Beschreibung des Auswahlprozesses mit Darlegung wissenschaftlicher Veröffentlichungen, die die Standortwahl begründen, ließen aber auf sich warten, bemängelt der Geologe und Experte für nukleare Sicherheit Marcos Buser gegenüber dem SWR.
Behörden werden die Standortauswahl der Nagra überprüfen
Dass viele Berichte noch nicht öffentlich sind, könnte aber auch daran liegen, dass einige Untersuchungen, auch im Zusammenhang mit der Seismik, noch nicht abgeschlossen sind. Viele Daten will die Nagra nach eigenen Angaben bis nächstes Jahr liefern. Dann beginne die umfängliche Prüfung der Behörden. Dass der Standortvorschlag Nördlich Lägern wegen seismischer Gefährdung dann noch ausgeschlossen wird, gilt aber als unwahrscheinlich.