Hochradioaktiver Abfall

Schweiz plant Tiefenlager in Erdbebenzone – ist das gefährlich?

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Autor/in
Lilly Zerbst
Portraitbild der Reporterin Lilly Zerbst.

Nur wenige Kilometer vor der deutschen Grenze soll am Standort Nördlich Lägern in der Schweiz ein Endlager für Atommüll entstehen. Dafür hat sich die zuständige nationale Genossenschaft entschieden. Oder wie sie sagen würden: Die Geologie hat entschieden. Aber ist das Ganze denn auch erdbebensicher?

In der Schweiz bebt es mehrmals täglich

Seismologisch gesehen ist die gesamte Schweiz eine Erdbebenzone. Denn unter der Schweiz kollidieren zwei Kontinentalplatten – Europa und Afrika. Entlang der Kollissionsfront schiebt sich das Gestein auf. Vor etwa 50 Millionen Jahren entstanden dort die Alpen, die bis heute wachsen.

Diese Plattengrenze ist aber keine gerade Linie sondern spannt ein Netz aus Verwerfungen durch die gesamte Schweiz. Entlang der Verwerfungen kommt es täglich zu kleineren oder größeren Beben. Seismisch aktive Zonen kann man in der Schweiz – anders als in Deutschland – kaum umgehen, wenn man nach einem geeigneten Atommüll-Standort sucht.

Kernkraftwerkam Rhein in unmittelbarer Nähe zu Deutschland.
Vier von fünf Kernkraftwerken sind in der Schweiz noch in Betrieb. Sie produzieren jährlich rund siebzig Tonnen hochradioaktiven Atommüll.

Tiefenlager muss Beben der Stärke 6.5 aushalten können

Gefunden hat die nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle – kurz: Nagra – ihren Tiefenlagerstandort in einem Gebiet mit mittelhoher Seismizität. Die Begründung: Dort ist das Gestein besonders geeignet, den hochradioaktiven Müll unter der Erde sicher zu versiegeln. Um den ausgewählten Standort Nördlich Lägern bebt es allerdings auch regelmäßig, meist spürt das der Menschen überhaupt nicht. Aber:

Es gibt auch selten auftretende, größere Erdbeben bis absolut Magnitude sechs, sechseinhalb. Magnituden über sieben sind dort nicht zu erwarten.

Stärkere Beben seien weder historisch aufgezeichnet, noch seien sie in Zukunft nach physikalischem Verständnis zu erwarten. Denn die Bewegung der Kontinentalplatten unter den Alpen verlangsamt sich sogar.

Die stärksten Beben, bis etwa Magnitude 6.5 kommen in der Region etwa alle tausend Jahre vor, sagt Professor Heidbach vom Geoforschungszentrum in Potsdam. Das ist im Planungshorizont des Tiefenlagers sozusagen übermorgen. Denn der hochradioaktive Müll soll dort für eine Million Jahre sicher versiegelt sein – in dieser Zeit kommt es also statistisch gesehen zu 1.000 dieser schweren Erdbeben.

Landschaft mit Bauernhof und See. Hier soll das Tiefenlager Nördlich Lägern entstehen.
Hier soll das Tiefenlager Nördlich Lägern entstehen. Ein Bauernhof eine Kiesgrube, sowie Agrarland würden dem Vorhaben zum Opfer fallen.

In Deutschland wäre Nördlich Lägern kein Standort-Kandidat

Oberirdisch können Beben der Magnitude 6.5 verheerende Zerstörungen anrichten. In Deutschland würde Nördlich Lägern deshalb als Tiefenlager-Standort ausgeschlossen werden – zumindest nach heutiger DIN-Norm.

Dieser kategorische Ausschluss wird von Experten aber kritisiert. Denn Beobachtungen großer Beben in China, den USA und an anderen Standorten haben gezeigt, dass die seismischen Wellen im Untergrund – zum Beispiel an Kavernen und Mienen – keinen Schaden anrichten, während sie an einer freien Oberfläche große Schäden verursachen, so Heidbach. Deshalb sei die Erdbebenzone in der Schweiz kein Ausschlusskriterium.

Auch in Deutschland versuchen Experten die DIN-Regelung zu kippen – mit dem Argument, dass die Erschütterungen eines Bebens keine Gefahr für das Tiefenlager darstellen, so heißt es in einem Gutachten für das Bundesumweltamt.

Modell für die unterirdische Lagerung von radioaktiven Brennstäben.
Eine Schicht aus Bentonit sowie der umliegende Opalinustons sollen die hochradioaktiven Brennstäbe unter der Erde vor seismischen Wellen schützen.

Hypozentrum im Tiefenlager würde erhebliche Schäden anrichten

Durchaus gefährlich könnte es aber werden, wenn die Bruchfläche, also der Ausgangspunkt des Erdbebens, das Tiefenlager durchschlagen würde. Dann droht die Kontamination des Trinkwassers. Bahnen sich die Risse bis an die Oberfläche, könnte radioaktive Strahlung austreten.

So ein Szenario will die Nagra vermeiden. Sie hält daher Abstand zu bekannten Störzonen, an denen Brüche häufiger entstehen. Philipp Senn, Mitglied der Geschäftsleitung bei der Nagra, erklärt:

Man hat den Untergrund mit sogenannten seismischen Messungen abgebildet. Darauf sieht man die großen Störungszonen sehr gut. Da hat man es eine sehr gute Datenlage für diese Beurteilung.

Geophone im Boden zur Messung der seismischen Untergrundaktivität.
Geophone messen die Ausbreitung seismischer Wellen im Untergrund. Aufzeichnungen der Amplitude und des Eintreffzeitpunkts der Erschütterungen ermöglichen Rückschlüsse über die Untergrundbeschaffenheit.

Experten kritisieren intransparente Datenlage

Bezüglich der Datenlage hagelt es aber auch Kritik: Die Nagra macht zwar Arbeitsberichte zu den Etappen der Standortsuche zugänglich. Eine transparente Beschreibung des Auswahlprozesses mit Darlegung wissenschaftlicher Veröffentlichungen, die die Standortwahl begründen, ließen aber auf sich warten, bemängelt der Geologe und Experte für nukleare Sicherheit Marcos Buser gegenüber dem SWR.

Behörden werden die Standortauswahl der Nagra überprüfen

Dass viele Berichte noch nicht öffentlich sind, könnte aber auch daran liegen, dass einige Untersuchungen, auch im Zusammenhang mit der Seismik, noch nicht abgeschlossen sind. Viele Daten will die Nagra nach eigenen Angaben bis nächstes Jahr liefern. Dann beginne die umfängliche Prüfung der Behörden. Dass der Standortvorschlag Nördlich Lägern wegen seismischer Gefährdung dann noch ausgeschlossen wird, gilt aber als unwahrscheinlich.

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