Umweltfreundliche Wasserkraft

Roboterfische sollen Tierversuche mit echten Fischen ersetzen

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Von Autor/in Annegret Faber

Die Fischfreundlichkeit von Wasserkraftwerken wird bisher in Tierversuchen getestet. Ein Forschungsteam arbeitet an Roboterfischen, um das Sterben tausender Fische zu beenden.

Was tun Fische, wenn sie auf die Wasserturbine eines Wasserkraftwerk zuschwimmen? Das ist schwer vorherzusagen. Deshalb werden vor dem Bau solcher Anlagen Fischversuche gemacht. Dafür werden tausende Fische unterschiedlicher Arten vor so einer Turbine in den Fluss gesetzt und dann wird geschaut, wie die Tiere auf der anderen Seite wieder herauskommen.

Eine martialische Art, um die Fischfreundlichkeit einer Turbine zu testen. Deshalb sucht ein Forschungsteam nach Alternativen, um die Versuche mit Lebendfischen zu reduzieren oder sogar zu ersetzen.

In dem Team arbeiten Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus Dresden, Magdeburg, Stuttgart und Jena im Forschungsprojekt Retero zusammen, das seit 2019 läuft. Ziel ist es, mit Roboterfischen und Simulationen die Tierversuche mit lebenden Fischen an Wasserkraftwerken abzuschaffen.

Echte Fische werden mit Sensoren ausgestattet

In einer Halle der TU Dresden macht der Biologe Falko Wagner Fischversuche. Die Probanden - Döbel, Bachforellen und Aale - schwimmen in abgedunkelten 500-Liter-Behältern.

Wagner präpariert die Fische und bringt Sensoren an, um das Verhalten der Fische zu messen, während sie durch den Kanal fließen. Die Daten aus den Versuchen sollen in die Entwicklung künstlicher Fische einfließen.

Der Sensor misst zum Beispiel das Erdmagnetfeld und die Rotation. Dadurch weiß Wagner, wie sich der Fisch dreht. Der Sensor misst außerdem Beschleunigungen und verrät, ob ein Fisch einen Schlag abbekommt und den Wasserdruck.  "Schnelle Druckänderungen verursachen starke Verletzungen, insbesondere bei der Schwimmblase oder auch Einblutungen", erklärt Falko Wagner.

Dann kommt der Fisch in den 30 Meter langen Strömungskanal, der mit zehn Kameras ausgestattet ist. "Damit simulieren wir den 'point of no return' vor der Turbine oder vor Pumpen, wo das Wasser beschleunigt wird auf Geschwindigkeiten, die so hoch sind, dass die Fische nicht mehr entkommen können", erklärt Falko Wagner. "Wir wollen schauen, wie die Fische in dem Bereich, wo sie einfach mitdriften, reagieren."

Ein Roboterfisch im Strömungskanal der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Künstliche Fische wie dieser sollen Tierversuche mit echten Fischen ersetzen. Stefan Hoerner, Forschungsgruppenleiter für Strömungsmaschinen der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg zeigt auf einen Roboterfisch.
Ein Roboterfisch in einem Strömungskanal - gezeigt von Stefan Hoerner von der Universität Magdeburg. Künstliche Fische wie dieser sollen Tierversuche mit echten Fischen ersetzen.

Roboterfische plus Sensoren in Kapseln

Über 1.000 Fische sind 2023 durch den Kanal in Dresden gesaust. Die Daten über das Verhalten fließen jetzt in künstliche Fische, die die Elektroingenieurin Abbaszadeh Shokoofeh an der Universität Magdeburg entwickelt hat.

Der künstliche Fisch ist aus Silikon und fühlt sich wie ein richtiger Fisch an: kalt und glibberig. Auf einer Forelle, die 35 Zentimeter lang ist, befinden sich vier sogenannte Aktuatoren. Sie sind so etwas wie künstliche Muskeln und funktionieren auch so. "Unter Strom können sie sich ziehen oder dehnen und dadurch bewegen", sagt Abbaszadeh Shokoofeh. Die Muskeln werden von einem Mikrocontroller gesteuert, der im Kopf des Fisches steckt.

Die künstlichen Fische sollen im Fluss, direkt vor einer Turbine, ausgesetzt werden. Die Sensorik zeigt dann an, wo die Fische hinschwimmen und was mit ihnen in der Turbine geschieht.

Parallel dazu entwickeln die Forschenden Sensoren in Kapseln. Auch sie sollen statt lebender Fische in den Fluss geworfen werden. Doch was die harten Kapseln messen, entspreche nicht der Realität, sagt Doktorand Wolf Iring Kösters. Denn auf den Zusammenstoß mit einem Turbinenblatt reagieren die Kapseln ganz anders als ein weicher Fisch.

Deshalb korrelieren die Forschenden die Beschleunigungsdaten mit der erwarteten Wahrscheinlichkeit, dass der Fisch stirbt. "Die kriegen wir aus Schlagversuchen mit echten Fischen", berichtet Wolf Iring Kösters

Mit sieben Metern pro Sekunde saust ein Turbinenblatt durch ein langes Wasserbecken und schlägt einen künstlichen, weichen Fisch. Highspeed-Kameras und Sensoren messen dabei Beschleunigung, Druck und Ausrichtung des Fisches.

Diese Daten setzen die Forschenden dann mit den Daten der harten Sensoren in Beziehung, damit auch diese Kapseln Aussagen darüber machen, wie viele Fische in einer Turbine sterben würden. 

Ein Roboterfisch in einem Labor des Instituts für Strömungstechnik und Thermodynamik der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Dahinter arbeitet Shokoofeh Abbaszadeh, die die Roboterfische baut. Diese sollen Tierversuche mit lebenden Fischen ersetzen.
Ein Roboterfisch in einem Labor des Instituts für Strömungstechnik und Thermodynamik der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Dahinter arbeitet Shokoofeh Abbaszadeh, die die künstlichen Fische baut.

Mehr als 7.000 Wasserkraftwerke gibt es in Deutschland

Doch brauchen wir überhaupt Energie aus Wasserkraft, wenn die Anlagen so schädlich für Fluss und Fische sind? Martin Pusch vom Leibniz-Institut für Gewässerforschung hält Wasserkraftwerke für überflüssig: "Zumindest die Kleinwasserkraftwerke, also solche mit einer Maximalleistung von einem Megawatt, die nur 0,3 bis 0,5 Prozent unsere Strombedarfs in Deutschland beitragen." Das sei zu vernachlässigen. Es entwerte aber viele hundert oder 1000 Kilometer unserer Fließgewässer, "indem die Fließgewässer durch die Wasserkraftwerke zerteilt werden."

Helge Beyer, Geschäftsführer des Bundesverbandes Deutscher Wasserkraftwerke, widerspricht. Natürliche Flüsse gäbe es schon lange nicht mehr. "Wenn Sie sich vor Augen führen, dass beispielsweise in den 1920er-Jahren noch rund 50.000 Wasserkraftwerke in Deutschland bestanden und wir heute noch diese 7300 haben, dann sehen Sie allein aus der Differenz, wie viele Querbauwerke dort noch bestehen, wie viele Standorte noch verfügbar sind. Die sind nach heutigen Maßstäben nicht mehr alle wirtschaftlich nutzbar, aber ein großer Teil von denen."

Viele tote Fische durch Tierversuche an Wasserkraftwerken

Gerade die nicht genutzten Querbauwerke seien Hindernisse. Sie blockieren das Wandern der Fische, denkt Beyer. Bei genutzten Wasserkraftanlagen hingegen würden Fischtreppen gebaut und der Fluss wäre wieder durchlässig.  "Ich kann damit eigentlich eine Win-win-Situation kreieren für mehr Gewässerökologie und für mehr erneuerbare Stromerzeugung“, sagt Helge Beyer.

Das sehen die Forschenden, die den Roboterfisch entwickelt haben anders. Trotz Fischtreppen würden ihrer Meinung nach viele Fische in den Turbinen zerhäckselt

Dazu kommen außerdem die Versuche mit Lebendfischen, um zu wissen, wie fischfreundlich eine Anlage ist. Fünf bis 90 Prozent der Fische würden dabei sterben, je nach Anlage. Die Simulationsmodelle mit Sensoren könnten als Ersatz dienen - und so die Zahl der toten Fische an Wasserkraftanlagen senken.

Wasserkraft deckt weltweit derzeit etwa 17 Prozent der Stromproduktion. Der Anteil wird bis 2050 weltweit um 60 Prozent wachsen, schätzt die Internationale Erneuerbare Energieagentur (IRENA). Die Fischfreundlichkeit von Wasserkraftwerken wird bisher in Tierversuchen mit echten Fischen getestet. Dem sollen Roboterfische ein Ende bereiten.   Laufwasserwerk Kachlet und Schleuse Kachlet an der Donau in Passau, Luftbild
Wasserkraft deckt weltweit derzeit etwa 17 Prozent der Stromproduktion. Der Anteil wird bis 2050 weltweit um 60 Prozent wachsen, schätzt die Internationale Erneuerbare Energieagentur (IRENA). Die Fischfreundlichkeit von Wasserkraftwerken wird bisher in Tierversuchen getestet. Dem sollen Roboterfische ein Ende bereiten.
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Autor/in
Annegret Faber
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Martina Janning