Nach einem Erdbeben sieht man vor allem eins: Trümmer. Helferinnen und Helfer versuchen verzweifelt, Schutt beiseitezuräumen. Häuser müssen aufwendig repariert oder gleich ganz abgerissen werden. Vor einem Jahr, beim Beben in der Türkei, wurden rund 230.000 Gebäude beschädigt oder zerstört.
Erdbebensicher bauen, das geht. Noch wichtiger ist es aber, die bereits bestehenden Häuser erdbebensicher zu machen, von denen die größte Gefahr ausgeht: Altbauten. Das geht auch, dank gleich mehrerer Erfindungen aus Deutschland.
Gipsverband stabilisiert Altbauten
Am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) wurden Verfahren entwickelt, um Häuser rüttelfest zu machen – und zwar, indem sie eine Art Gipsverband bekommen. Die Funktion der Gipsbinde übernimmt eine spezielle Matte aus Glasfasern und Polypropylen mit einer Spezialappretur.
Diese Flexibilität ist wichtig. Denn lange wurden Gebäude sehr steif gebaut, so Stempniewski, was dafür sorgt, dass die Kräfte eines Erdbebens stark auf das Gebäude übertragen werden. Mit dem Gipsverband von außen kann das Haus schwanken, ohne einzustürzen. Das Verfahren ist erprobt und wissenschaftlich abgesichert.
Erdbebenschutz ist vielfältig einsetzbar
Das KIT hat mit mehreren Partnerfirmen zusammengearbeitet, um die richtigen Komponenten zu finden - unter anderem mit der Firma Kast aus dem Allgäu. Die Firma kommt aus der Buchbinderei und kennt sich mit technischen Textilien aus. Geschäftsführer Christoph Kast erklärt, dass das Erdbebenverfahren per “Spezialgipskorsett” überall eingesetzt werden kann:
Rettung auch bei Pfusch am Bau
Das Verfahren funktioniert sogar bei Pfusch am Bau. Ein Beispiel: Beim Haus von Dietmar Grömminger am Bodensee wurden falsche Steine verwendet. Ein Gutachter bemerkt, dass das Haus keine Statik hat und damit nicht erdbebensicher ist. Eine herkömmliche Stabilisierung wäre sehr aufwendig geworden, so Grömminger. Das Haus wäre wohl für mehrere Monate nicht bewohnbar gewesen. Im schlimmsten Fall hätte es abgerissen werden müssen.
Das Schutzsystem mit Spezialmatte und -gips ist die Rettung. Für das Schutzsystem muss alles runter: Wärmedämmung und Putz. Die Außenmauern werden mit dem Gipsverband eingewickelt. Aber Familie Grömminger muss nicht ausziehen. Heute ist ihr saniertes Gebäude ein normaler Neubau. Zu sehen ist nichts, das Haus ist erdbebensicher.
Auch beim Megaprojekt Stuttgart 21 wurde das Verfahren bei der denkmalgeschützten Bahndirektion in Stuttgart verwendet – in dem Fall sogar innen. Jetzt sind die tragenden Wände wieder sicher.
Schutz von Innen: Erdbebentapete zögert Einsturz heraus
Für nicht tragende Wände haben die Experten des KIT ein weiteres, etwas einfacheres Verfahren entwickelt: eine Erdbebentapete für Innenwände. Sie besteht aus Glasfasern, das Geheimnis steckt aber im patentierten Tapetenkleister – ein besonders zäher, aber flexibler Spezialklebstoff. Zusammen können Kleber und Tapete Innenwände zunächst aufrecht halten und so bei einem Erdbeben zumindest die wertvollen Sekunden zur Flucht nach draußen ermöglichen.
Anbringen kann die Tapete jeder Maler. Sie ist kommerziell erfolgreich und wird besonders oft in Italien verbaut - auch weil der italienische Bauchemiekonzern Mapei das Gesamtsystem vertreibt. Dort gibt es sogar schon Erfahrungen bei schweren Beben:
Erdbebensichere Sanierung zeigt Erfolge in der Türkei
Auch in der Türkei wurden die Erdbebenschutzsysteme aus Deutschland verbaut, vor dem großen Beben vor einem Jahr – oft im Rahmen von Sanierungen.
Der Erfinder Lothar Stempniewski vom KIT hofft, dass in Zukunft noch viel mehr Gebäude und damit auch Menschenleben gerettet werden können, damit nach schweren Erdbeben solche katastrophalen Bilder wie aus der Türkei vor einem Jahr, in Zukunft immer seltener zu sehen sind.