Ralf Caspary im Gespräch mit Dr. Christa Kasang, Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe e.V.
Ist Lepra fast gänzlich aus unserem Bewusstsein verschwunden?
Dr. Kasang: Ja, das Problem erleben wir täglich. Lepra gilt immer wieder als ausgerottet. Oder gibt es das überhaupt noch? Diese Frage kriegen wir immer wieder gestellt.
Woran liegt das?
Dr. Kasang: Das liegt daran, dass Lepra hauptsächlich in Ländern vorkommt, in denen Armut vorherrscht, also vernachlässigte Länder. Lepra ist eigentlich nicht nur eine vernachlässigte Krankheit, sondern speziell ein Problem, was vernachlässigte Bevölkerungsgruppen erleben.
In welchen Ländern ist diese Krankheit ein großes Problem?
Dr. Kasang: Die Hauptländer, die mit Lepra kämpfen, sind im Moment Brasilien, Indonesien und Indien. Aber es ist ein weltweites Problem auf der Südhalbkugel, in Ländern mit begrenzten Ressourcen. Wir haben viele Fälle gefunden in Afrika. Es gibt auch immer noch Fälle in Lateinamerika und in Asien. Kein Problem ist es auf der nördlichen Hemisphäre.
Sie haben gesagt, Armut ist ein ganz wichtiger Faktor bei dieser Krankheit. Warum?
Dr. Kasang: Ja, Lepra ist eine armutsassoziierte Erkrankung. Das liegt einfach daran, dass die Menschen keinen Zugang zu Gesundheitssystemen haben. Die Wege zu den nächsten Krankenhäusern oder Gesundheitszentren sind weit. Und wenn die ersten Symptome von Lepra auftauchen – das sind erstmal nur Hautflecken, die zunächst nicht ernst genommen werden – wird eigentlich kein Arzt aufgesucht.
Wie entsteht diese Krankheit?
Dr. Kasang: Lepra ist eine mykobakterielle Infektion. Das heißt, ein Bakterium verursacht die Krankheit. Es ist eine Ansteckung über Tröpfcheninfektion, aber auch über Haut zu Haut-Kontakt. Sie ist in endemischen Regionen verbreitet, wo einfach die Hygiene geringer ist, aber auch die Ernährungssituation – und damit das Immunsystem – schwächer.
Sie haben gesagt, die Krankheit zeigt sich zuerst durch Hautflecken. Wie geht es weiter?
Dr. Kasang: Wenn wir Patienten untersuchen, dann machen wir ein komplettes Hautscreening. Wir untersuchen die Menschen am ganzen Körper und finden Flecken, die in der Sensitivität beeinträchtigt sind. Die Menschen spüren also auf diesen Hautflecken nichts, wenn man drüberstreicht. Es geht dann weiter, dass es zu größeren Läsionen, also größeren Verletzungen der Haut kommt. Und ganz schnell sind dann auch die Nerven beteiligt.
Das ist die große Gefahr dieser Erkrankung: Die Nerven bekommen Schädigungen und damit Lähmungen und später folgen Auto-Amputationen. Das kennt man aus Bildern, die "Lepra-Hände" – wenn die Finger einfach auch nicht mehr gut durchblutet sind und die Nerven geschädigt.
Stirbt man an dieser Krankheit?
Dr. Kasang: Nein, Lepra selbst ist keine tödliche Krankheit, kann aber dadurch töten, dass sie sehr große soziale Folgen hat. Die Menschen können nicht mehr arbeiten, sie können oft ihre normalen täglichen Aufgaben nicht mehr nachkommen, das Leben verliert massiv an Qualität und oft sterben die Menschen dann sekundär, weil sie sich nicht mehr selbst versorgen können.
Was sind die Probleme bei der Bekämpfung? Man müsste ja die primären Faktoren bekämpfen, zum Beispiel die Armut und die hygienischen Situationen.
Dr. Kasang: Absolut. Bei allen armutsassoziierten Krankheiten sind wir immer dran, dass wir die grundsätzlichen Lebensbedingungen der Menschen verändern müssen. Hygiene, Wasser und sanitäre Bedingungen sind die wichtigsten zentralen Elemente. Grundsätzlich ist aber eine große Schwierigkeit bei der Erkrankung, dass wir nicht wissen, wo die Lepra vorkommt. Wir haben immer wieder große Probleme die Lepra-Fälle zu finden. Sie werden dann erst spät diagnostiziert und je später Lepra-Fälle diagnostiziert werden, umso größer ist die Gefahr, dass Behinderungen bleiben, weil die Nervenschäden einfach schon fortgeschritten sind.
Wie verhalten sich die Regierungen vor Ort oder die Kommunen? Arbeiten die gut mit ihnen zusammen? Wollen diese aufklären?
Dr. Kasang: Das ist eine ganz wichtige Frage. Wir hatten in der letzten Zeit tatsächlich sehr große Schwierigkeiten. Lepra galt als Gesundheitsproblem für ausgerottet. Und das hat uns Schwierigkeiten gemacht, dass sich die Länder vor Ort nicht mehr engagiert haben. Da hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) aber durch eine neue Strategie von 2021 bis 2030, die Regierungen sehr stark motiviert.
Die Regierungen sind jetzt angehalten bei der WHO zu berichten, ob es ihnen gelingt, diese vernachlässigten Tropenerkrankungen auszurotten. Und durch diese Motivation ist es wirklich so, dass die nationalen Programme inzwischen sehr eng mit uns zusammenarbeiten.
Und man kann dann anhand dieser Berichte sehen, die Zahl der Leprakranken geht zurück, bleiben gleich oder erhöhen sich?
Dr. Kasang: Genau, ein direkter Bericht und eine direkte Berichterstattung jährlich, wie viele Lepra-Fälle entdeckt wurden, müssen die Länder kommunizieren. Und es ist auch wichtig, dass eben nicht nur die Fälle verschwiegen werden oder einfach nicht mehr gesucht werden, sondern sie müssen auch nachweisen, dass sie bestimmte Aktivitäten gemacht haben, um die Lepra zu identifizieren.
Wie ist das eigentlich, wenn man Lepra früh entdeckt? Kann man sofort medizinisch intervenieren?
Dr. Kasang: Lepra ist heilbar. Wir haben ein Dreifach-Antibiotikum, was wir ein halbes Jahr oder ein ganzes Jahr lang geben. Damit können wir die Ansteckungsgefahr komplett reduzieren. Die Menschen haben kein Lepra mehr, aber sie behalten natürlich die Schäden. Wenn Nerven schon geschädigt oder Durchblutungen gestört sind, dann bleiben diese Behinderungen oft lange. Und dadurch müssen wir auch aktiv sein, dass die Menschen der Rehabilitation zugeführt werden.
Glauben Sie denn, dass Lepra eines Tages besiegt werden kann?
Dr. Kasang: Wenn es uns gelingt, die Armut auf der Welt zu reduzieren, dann haben wir sehr gute Chancen, die Lepra zu eliminieren. Solange die Armut noch vorherrscht, sind wir am kämpfen. Aber ich denke, mit unseren aktiven Maßnahmen, der aktiven Suche und neuerdings auch mit einer Prophylaxe, die sehr gut die Kontakte von Lepra-Patienten schützt. Mit dieser Prophylaxe gelingt es uns bestimmt, die Zahlen auf ein Minimum zu reduzieren.