Jahrelang war über die Dauer des Gymnasiums im Südwesten debattiert worden, zuletzt hatte sich der Druck immer weiter erhöht. Nun ist klar: Das Land will die Weichen stellen für eine Rückkehr zum Gymnasium in neun Jahren. Anja Braun hält diese Entscheidung für längst überfällig.
Landesregierung in BW hat lange am Turbo-Abitur festgehalten
Endlich kommt das Einlenken. Jahrzehntelang wurden Klagen der Eltern, Schülerinnen und Schüler, aber auch ihrer Lehrkräfte einfach stur überhört. Und seit die grün-schwarze Koalition in Baden-Württemberg regiert, waren es gerade die Grünen, die hartleibig das G8 verteidigten - allen voran Ministerpräsident Winfried Kretschmann, der früher selbst Lehrer war.
G9-Modell-Gymnasien wurden nicht weiter untersucht
Lange war versucht worden, das Aufbegehren mit Verweis auf die 44 G9-Modellgymnasien aufzufangen. So gibt es in jedem Stadt und Landkreis von Baden-Württemberg je ein Modellgymnasium, an dem die Kinder und Jugendlichen in neun Jahren zum Abitur geführt werden.
Selbstredend wurden diese Modellschulen nie evaluiert - wozu auch, das G9 ist ja der bekannte Standard. Doch immer mehr Schülerinnen und Schüler drängten an die wenigen G9-Gymnasien - und nahmen dafür auch extrem lange Schulwege in Kauf. Die G9-Modellschulen waren und sind völlig überlaufen und müssen ihre Plätze quasi verlosen.
Viele Bundesländer sind bereits zum Gymnasium in neun Jahren zurückgekehrt
Trotz der hohen Nachfrage und den nicht nachlassenden Klagen über das verkürzte Gymnasium hat sich in Baden-Württemberg seit der Einführung 2012 nichts bewegt. Auch wenn alle anderen vergleichbaren westlichen Flächenbundesländer vom einst gefeierten Turbo-Abitur abgekommen sind und die Rolle rückwärts zum Gymnasium in neun Jahren gemacht haben.
Baden-Württemberg blieb stur - obwohl zahlreiche Studien gezeigt haben, dass das Abitur in acht Jahren nicht dazu geführt hat, dass Schülerinnen und Schüler rascher in Ausbildung oder Hochschule gehen und schneller in die Sozialkassen einzahlen. Das war ein wichtiger Punkt für die Einführung des Turbo-Abis gewesen.
Entscheidung im Landtag Baden-Württemberg G8 versus G9 – welcher Weg zum Abitur ist besser?
Acht Jahre oder neun Jahre bis zum Abitur? Zwischen G8 und G9 zeigen sich kaum Leistungsunterschiede. Aber die Turboabiturienten sind gesundheitlich angeschlagener und gestresster.
Turbo-Abitur in acht Jahren sorgt für mehr Stress unter Schülern
Im Gegenteil: Viele Schülerinnen und Schüler geben an, zu wenig Zeit für soziale, sportliche oder kulturelle Beschäftigungen neben der Schulzeit zu haben. Und die Mehrheit der Gymnasiastinnen und Gymnasiasten klagen über Stress und stressbedingte Gesundheitseinschränkungen. Dabei schlagen Druck und Schulstress auch auf die Psyche der Heranwachsenden durch.
Doch die Regierenden in BW hat das lange nicht interessiert. Grün-Schwarz hatte extra im Koalitionsvertrag vereinbart, keine Strukturdebatten führen zu wollen.
Bürgerinitiative "G9 jetzt" hat der Regierung Dampf gemacht
Nun hat ein Volksantrag der Bürgerinitiative zum Thema „G9 jetzt“ offenbar die harsche Front zum Bröckeln gebracht. Die Initiative hatte in kurzer Zeit so viele Unterschriften gesammelt, dass man davon ausgehen kann, dass ein darauf folgendes Volksbegehren zum G9 erfolgreich sein würde.
Psychosomatik Wenn Schule auf den Magen schlägt – Stressbewältigung bei Kindern und Jugendlichen
Die Schule macht Kindern und Jugendlichen zunehmend zu schaffen: Kopfschmerzen, Herzrasen oder Essstörungen sind nur ein Teil der Symptome.
Bürgerforum in Baden Württemberg fordert Rückkehr zu G9 Gymnasium
Und auch das von der Landesregierung eingesetzte Bürgerforum zum Thema G8 oder G9 hat in dieser Woche mit überwältigender Mehrheit für mehr Zeit bis zum Abitur gestimmt.
Nun will sich die Landesregierung ein Modell der Rückkehr zum G9 überlegen. Das soll aber nicht einfach eine Rückkehr zum G9 von früher werden, sondern ein neues innovatives Modell, das interessierten Schülerinnen und Schülern auch einen schnelleren Weg zum Abitur in 8 Jahren ermöglichen soll.
Regierung warnt: Wiedereinführung des G9 wird teuer
Ich fürchte nur, das wird ein Sparmodell werden. In den vergangenen Wochen hat Ministerpräsident Kretschmann immer wieder betont, die landesweite Rückkehr aller Gymnasien zum G9 sei schlicht zu teuer. Die Regierung rechnet im günstigsten Fall von rund 120 Millionen Euro Mehrkosten im Jahr plus einmalig 100 Millionen Euro für den Schulbau. Außerdem braucht das G9 in BW mindestens 1.700 Lehrerdeputate mehr.
Streit um die Finanzierung des längeren Weges zum Abitur
Schon gibt es Streit, wer das nachher bezahlt. Während Bayern den Kommunen pauschal 500 Millionen Euro für die Rückkehr zum G9 zur Verfügung gestellt hat und auch in Nordrhein-Westfalen eine ähnliche Summe vom Land an die Städte geflossen ist, will die Landesregierung in Baden-Württemberg offenbar die Kommunen stärker an der Rückkehr zum 9-jährigen Gymnasium beteiligen.
Grundschule und Kita sollten nicht von Umstellung auf G9 betroffen sein
Ministerpräsident Kretschmann hat in der Vergangenheit immer wieder betont, die größten Herausforderungen des Bildungssystems lägen in den Grundschulen. Die wichtigste Aufgabe sei hier die Stärkung der Sprachbildung und -förderung sowie der Basiskompetenzen Lesen, Schreiben und Rechnen.
Schularten sollten nicht gegeneinander ausgespiel werden
Damit hat er recht, aber ich finde, ein immer noch reiches Bundesland wie Baden-Württemberg sollte nicht versuchen, die unterschiedlichen Altersgruppen und Schularten gegeneinander auszuspielen. Es muss möglich sein, Kinder in Kita und Grundschule gut zu fördern und ihnen danach auch die Chance auf neun Jahre Schulzeit bis zum Abitur zu geben, die auch Platz für Persönlichkeitsbildung, Hobbies und Gesundheit lassen.