Duchenne-Muskeldystrophie

Gentherapie bei Muskelschwund erfüllt nicht die Erwartungen

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Autor/in
Veronika Simon
Portraitbild von Veronika Simon, Multimedia-Reporterin und Redakteurin SWR Wissen aktuell
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Ralf Kölbel
Ralf Kölbel, Online-Redakteur bei SWR Wissen aktuell sowie Redakteur bei Redakteur bei SWR Kultur DAS Wissen.

Die erste Gentherapie gegen die Duchenne-Muskeldystrophie wurde zugelassen, noch bevor die Studien zur Wirksamkeit abgeschlossen waren. Jetzt kamen die Ergebnisse raus – und sind eher ernüchternd.

Zulassungen können sehr lange dauern, in besonderen Fällen aber auch sehr schnell gehen: Das haben wir bei den Corona-Impfstoffen erlebt. Ein ganz anders gelagerter besonderer Fall sind schwere, seltene Erkrankungen: Hier kann es bei den Patienten zum Beispiel innerhalb von Monaten oder wenigen Jahren deutliche Verschlechterungen geben – eine etwas riskantere, dafür schnellere bedingte Zulassung von Medikamenten kann da durchaus vertretbar sein.

Die erste zugelassene Gentherapie gegen Muskeldystrophie ging auch durch die Medien als „teuerstes Medikament der Welt“. Die Kosten für eine Behandlung belaufen sich auf knapp drei Millionen Euro. Die Therapie ist wohl nicht so wirksam wie erhofft. Es gibt zwar motorische Verbesserungen, aber diese sind nicht so eindeutig, wie gedacht.

Muskeldystrophie Duchenne ist eine sehr schwere, erblich bedingte Erkrankung

Meist beginnt es schon, wenn sie noch ganz klein sind: Kinder, die von der Muskeldystrophie Duchenne betroffen sind, haben Schwierigkeiten beim Laufen, sie stolpern, können nicht gut Treppen steigen. "Muskelschwund" wäre eine deutsche Bezeichnung für diese Erkrankung.

Eine solche Diagnose ist ein Schock für die Familien. Denn der Muskelschwund schreitet voran – die meisten Patienten sitzen als Jugendliche im Rollstuhl, doch das ist nicht alles, erklärt Jan Kirschner, Direktor der Klinik für Neuropädiatrie und Muskelerkrankungen am Universitätsklinikum in Freiburg.

„Letztendlich ist auch die Atemmuskulatur und die Herzmuskulatur betroffen, sodass das eine sehr schwere Erkrankung ist, die im jungen Erwachsenenalter auch zum Versterben der Betroffenen führt.

Aktivisten der Deutschen Duchenne Stiftung protestieren am Brandenburger Tor in Berlin für Gleichstellung und Inklusion von Menschen mit Behinderung. (27. Mai 2023)
Aktivisten der Deutschen Duchenne Stiftung protestierten Ende Mai 2023 am Brandenburger Tor in Berlin für Gleichstellung und Inklusion von Menschen mit Behinderung.

Überwiegend Jungen betroffen

Betroffen sind fast nur Jungen, denn der Gendefekt, der für diese Erkrankung verantwortlich ist, liegt auf dem X-Chromosom. Da Mädchen zwei X-Chromosomen haben, können sie den Fehler ausgleichen, Jungen mit nur einem, nicht. Ihnen fehlt dann das sogenannte Dystrophin-Gen.

Doch es gibt eine Gentherapie, die diesen Mangel ersetzen soll, in den USA ist sie bereits zugelassen. Es gibt bereits junge Patienten, die die Infusion mit den Milliarden kleinen Genschnipseln erhalten haben. Nur: Wie wirksam die wirklich sind, das wusste man bisher noch nicht. Mit Spannung wurden daher die Ergebnisse der sogenannten EMBARC-Studie erwartet, die das untersucht hat.

Ein erblich bedingter Mangel an Dystrophin, einem für die Struktur der Muskeln wichtigen Eiweiß, ist die Ursache der Muskeldystrophie. Fehlt das Eiweiß, bricht die betroffene Muskelzelle zusammen. (Symbolfoto)
Ein erblich bedingter Mangel an Dystrophin, einem für die Struktur der Muskeln wichtigen Eiweiß, ist die Ursache der Muskeldystrophie. Fehlt das Eiweiß, bricht die betroffene Muskelzelle zusammen.

Studie zeigt eher geringe Verbesserung der motorischen Fähigkeiten

Die beteiligten Pharma-Unternehmen veröffentlichten nun ihre Ergebnisse – und sie hatten keine besonders guten Nachrichten. Bewertet wurden die motorischen Fähigkeiten der Kinder. Für Aufgaben wie Treppensteigen und vom Boden aufstehen bekamen die Kinder Punkte, es wurde ein Score errechnet.

In der Studie konnten die Forschenden zwischen einer therapierten und einer Placebogruppe keinen statistisch signifikanten Unterschied bei der Veränderung des Scores nach einem Jahr erkennen. Das heißt: In der Gesamtschau ihrer motorischen Leistungen gab es keine stichhaltige Verbesserung durch die Therapie.

Schaut man genauer auf die Details, gab es jedoch kleine Unterschiede, die statistisch signifikant waren. Zum Beispiel verkürzte sich die Zeit, die die Patienten brauchten, um aufzustehen - um 0,64 Sekunden. Das klingt erstmal nach sehr wenig.

Muskeldystrophie wird durch genetische Mutationen verursacht. Das führt meist zu Defekten oder zu einem Mangel von in der Muskulatur vorkommenden Proteinen. Die Folgen davon sind Muskelschwäche und Muskelschwund.
Muskeldystrophie wird durch genetische Mutationen verursacht. Das führt meist zu Defekten oder zu einem Mangel von in der Muskulatur vorkommenden Proteinen. Die Folgen davon sind Muskelschwäche und Muskelschwund.

Beobachtungszeitraum möglicherweise zu kurz

Doch Professor Jan Kirschner sieht in diesen Ergebnissen trotzdem ein gewisses Potential: Im Rahmen der Studie seien die Patienten über ein Jahr beobachtet worden. Die Duchenne Muskeldystrophie sei jedoch eine langfristig fortschreitende Erkrankung. Das heißt, dass im Beobachtungszeitraum eines Jahres vielleicht noch kein großer Unterschied bemerkbar war. Wenn man sich aber vorstelle, dass diese Therapie über die Jahre hinweg anhält, dann mache sich so ein Effekt natürlich schon bemerkbar.

Der Untersuchungszeitraum von einem Jahr reicht nicht aus, um langfristige Effekte der Therapie zu erfassen. Wie die aussehen könnten, ist zum jetzigen Zeitpunkt also zumindest teilweise Spekulation. Bei „normalen“ Erkrankungen und damit „normalen“ Medikamenten würden solche Daten vermutlich nicht ausreichen für eine Zulassung.

Aber die Muskeldystrophie ist eben keine „normale“ Erkrankung: Man habe, so Kirschner, auch "einen gewissen Zeitdruck". Man könne nicht zehn Jahre Forschung betreiben, um diese Therapie noch besser zu untersuchen, weil sich in dieser Zeit der Zustand der Patienten kontinuierlich verschlechtert.

Die gentherapeutische Behandlung der Muskeldystrophie ist sehr teuer und kommt bislang auch nur in Ausnahmefällen zum Einsatz.
Die gentherapeutische Behandlung der Muskeldystrophie ist sehr teuer und kommt bislang auch nur in Ausnahmefällen zum Einsatz.

Insgesamt sind die Ergebnisse gerade für die Patienten wohl ernüchternd. Denn die Hoffnungen an die Gentherapien sind hoch, gibt es doch mittlerweile auch sehr positive Ergebnisse.

Wir hatten auch die Erfahrungen mit der Gentherapie der spinalen Muskelatrophie. Da gibt es ja mittlerweile auch einen Neugeborenen-Screening, sodass alle Patienten direkt nach der Geburt behandelt werden. Und dann entwickelten diese Kinder sich fast normal.

Doch das ist nicht so leicht zu übertragen auf andere Erkrankungen. Denn auch wenn es ähnlich klingt: Die Spinale Muskelatrophie und die Muskeldystrophie Duchenne sind ganz unterschiedliche Erkrankungen. Und haben damit auch andere Herausforderungen, wenn man die genetischen Ursachen beseitigen will. Insbesondere bei der Muskeldystrophie Duchenne gibt es nach der Einschätzung von Jan Kirschner ein Problem:

Das Dystrophin-Gen ist eines der größten Gene im menschlichen Körper. Aber die Vektoren, die wir benutzen, um die Gentherapie durchzuführen, haben nur eine begrenzte Kapazität.

Viele Fragen zur dauerhaften Wirksamkeit der Gentherapie bleiben noch unbeantwortet

Soll heißen: Das Gen ist zu groß für sein Transportmittel. Aktuell kann man nur Teile des Gens in die Zellen bringen. Wahrscheinlich zeigt die Therapie deshalb auch keine optimale Wirkung. Allerdings haben in der aktuellen Studie auch Patienten die Therapie erhalten, deren Erkrankung bereits recht fortgeschritten war. Das heißt, die Muskulatur hat sich da bereits verändert.

Die Frage ist auch: Muss man die Therapie eventuell früher einsetzen? Oder ist schon bei veränderter Muskulatur der Nutzen der Gentherapie vielleicht begrenzt?

Die europäischen Behörden haben sich noch nicht entschieden, ob die Gentherapie gegen die Muskeldystrophie Duchenne zugelassen wird. Sie wollten die Daten der EMBARK-Studie abwarten.

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