Zulassungen können sehr lange dauern, in besonderen Fällen aber auch sehr schnell gehen: Das haben wir bei den Corona-Impfstoffen erlebt. Ein ganz anders gelagerter besonderer Fall sind schwere, seltene Erkrankungen: Hier kann es bei den Patienten zum Beispiel innerhalb von Monaten oder wenigen Jahren deutliche Verschlechterungen geben – eine etwas riskantere, dafür schnellere bedingte Zulassung von Medikamenten kann da durchaus vertretbar sein.
Die erste zugelassene Gentherapie gegen Muskeldystrophie ging auch durch die Medien als „teuerstes Medikament der Welt“. Die Kosten für eine Behandlung belaufen sich auf knapp drei Millionen Euro. Die Therapie ist wohl nicht so wirksam wie erhofft. Es gibt zwar motorische Verbesserungen, aber diese sind nicht so eindeutig, wie gedacht.
Muskeldystrophie Duchenne ist eine sehr schwere, erblich bedingte Erkrankung
Meist beginnt es schon, wenn sie noch ganz klein sind: Kinder, die von der Muskeldystrophie Duchenne betroffen sind, haben Schwierigkeiten beim Laufen, sie stolpern, können nicht gut Treppen steigen. "Muskelschwund" wäre eine deutsche Bezeichnung für diese Erkrankung.
Eine solche Diagnose ist ein Schock für die Familien. Denn der Muskelschwund schreitet voran – die meisten Patienten sitzen als Jugendliche im Rollstuhl, doch das ist nicht alles, erklärt Jan Kirschner, Direktor der Klinik für Neuropädiatrie und Muskelerkrankungen am Universitätsklinikum in Freiburg.
Überwiegend Jungen betroffen
Betroffen sind fast nur Jungen, denn der Gendefekt, der für diese Erkrankung verantwortlich ist, liegt auf dem X-Chromosom. Da Mädchen zwei X-Chromosomen haben, können sie den Fehler ausgleichen, Jungen mit nur einem, nicht. Ihnen fehlt dann das sogenannte Dystrophin-Gen.
Doch es gibt eine Gentherapie, die diesen Mangel ersetzen soll, in den USA ist sie bereits zugelassen. Es gibt bereits junge Patienten, die die Infusion mit den Milliarden kleinen Genschnipseln erhalten haben. Nur: Wie wirksam die wirklich sind, das wusste man bisher noch nicht. Mit Spannung wurden daher die Ergebnisse der sogenannten EMBARC-Studie erwartet, die das untersucht hat.
Studie zeigt eher geringe Verbesserung der motorischen Fähigkeiten
In der Studie konnten die Forschenden zwischen einer therapierten und einer Placebogruppe keinen statistisch signifikanten Unterschied bei der Veränderung des Scores nach einem Jahr erkennen. Das heißt: In der Gesamtschau ihrer motorischen Leistungen gab es keine stichhaltige Verbesserung durch die Therapie.
Schaut man genauer auf die Details, gab es jedoch kleine Unterschiede, die statistisch signifikant waren. Zum Beispiel verkürzte sich die Zeit, die die Patienten brauchten, um aufzustehen - um 0,64 Sekunden. Das klingt erstmal nach sehr wenig.
Beobachtungszeitraum möglicherweise zu kurz
Doch Professor Jan Kirschner sieht in diesen Ergebnissen trotzdem ein gewisses Potential: Im Rahmen der Studie seien die Patienten über ein Jahr beobachtet worden. Die Duchenne Muskeldystrophie sei jedoch eine langfristig fortschreitende Erkrankung. Das heißt, dass im Beobachtungszeitraum eines Jahres vielleicht noch kein großer Unterschied bemerkbar war. Wenn man sich aber vorstelle, dass diese Therapie über die Jahre hinweg anhält, dann mache sich so ein Effekt natürlich schon bemerkbar.
Der Untersuchungszeitraum von einem Jahr reicht nicht aus, um langfristige Effekte der Therapie zu erfassen. Wie die aussehen könnten, ist zum jetzigen Zeitpunkt also zumindest teilweise Spekulation. Bei „normalen“ Erkrankungen und damit „normalen“ Medikamenten würden solche Daten vermutlich nicht ausreichen für eine Zulassung.
Aber die Muskeldystrophie ist eben keine „normale“ Erkrankung: Man habe, so Kirschner, auch "einen gewissen Zeitdruck". Man könne nicht zehn Jahre Forschung betreiben, um diese Therapie noch besser zu untersuchen, weil sich in dieser Zeit der Zustand der Patienten kontinuierlich verschlechtert.
Insgesamt sind die Ergebnisse gerade für die Patienten wohl ernüchternd. Denn die Hoffnungen an die Gentherapien sind hoch, gibt es doch mittlerweile auch sehr positive Ergebnisse.
Doch das ist nicht so leicht zu übertragen auf andere Erkrankungen. Denn auch wenn es ähnlich klingt: Die Spinale Muskelatrophie und die Muskeldystrophie Duchenne sind ganz unterschiedliche Erkrankungen. Und haben damit auch andere Herausforderungen, wenn man die genetischen Ursachen beseitigen will. Insbesondere bei der Muskeldystrophie Duchenne gibt es nach der Einschätzung von Jan Kirschner ein Problem:
Viele Fragen zur dauerhaften Wirksamkeit der Gentherapie bleiben noch unbeantwortet
Soll heißen: Das Gen ist zu groß für sein Transportmittel. Aktuell kann man nur Teile des Gens in die Zellen bringen. Wahrscheinlich zeigt die Therapie deshalb auch keine optimale Wirkung. Allerdings haben in der aktuellen Studie auch Patienten die Therapie erhalten, deren Erkrankung bereits recht fortgeschritten war. Das heißt, die Muskulatur hat sich da bereits verändert.
Die europäischen Behörden haben sich noch nicht entschieden, ob die Gentherapie gegen die Muskeldystrophie Duchenne zugelassen wird. Sie wollten die Daten der EMBARK-Studie abwarten.