Neue Idee kommt vom Massachusetts Institute of Technology
Erneuerbare Energie herzustellen, ist vergleichsweise einfach: Doch sie zu speichern und dann abrufen, wenn sie benötigt wird, ist eine große Herausforderung. WissenschaftlerInnen vom MIT, dem Massachusetts Institute of Technology, haben eine auf den ersten Blick einfache und vielversprechende Lösung gefunden:
Man nehme billige und beinahe überall verfügbare Materialien, nämlich Zement, Wasser und Ruß, baue daraus riesige Kondensatoren - und viele Bauten aus Beton könnten damit neben ihrem eigentlich Zweck künftig auch als Stromspeicher genutzt werden. Die Forschenden aus Cambridge, USA, sind sehr optimistisch, dass dies ein wichtiger Beitrag für die Energiewende werden könnte. Ihre Ergebnisse veröffentlichen sie in der Fachzeitschrift PNAS.
So funktioniert ein "Superkondensator"
Strom kann nicht nur in Batterien gespeichert werden, sondern auch in Kondensatoren - kleine Bauteile, die in jedem elektronischen Gerät vorhanden sind. Legt man eine Spannung an einen Kondensator an, dann lädt er sich relativ schnell auf, entfernt man die Spannung, entlädt er sich wieder. Das ist zum Beispiel der Grund, warum ein Router zum Neustart 30 Sekunden lang ausgesteckt werden soll. In dieser Zeit entladen sich die Kondensatoren.
Ähnlich sind auch "Superkondensatoren" aufgebaut: Sie können besonders viel Ladung sehr schnell aufnehmen und auch wieder abgeben. In Mannheim, Heidelberg und Ludwigshafen fahren rund 100 Straßenbahnen, die mit solchen Superkondensatoren ausgestattet sind. Die laden sich mit der Bremsenergie auf, wenn die Tram in die Station einfährt und entladen sich, um schnell Energie für die Beschleunigung bereitzustellen, wenn sie wieder losfährt.
Verwendet werden diese Energiespeicher zum Beispiel auch in der industriellen Elektronik, um kurzzeitige Netzausfälle zu überbrücken, und für viele andere Anwendungen, bei denen eine hohe Ladung elektrischer Energie schnell zur Verfügung stehen muss.
Experimente mit Ruß, Wasser und Zement
Für einen solchen "Superkondensator" haben Forschende des Massachusetts Institute of Technology mit Materialien experimentiert, die ziemlich alltäglich sind und die in großen Mengen zur Verfügung stehen: Ruß, Wasser und Zement. Franz-Josef Ulm, Professor für Bauingenieurwesen am MIT und dort für den Bereich Materialwissenschaft zuständig, erklärt die neuen Erkenntnisse der Forschenden:
Ruß und Zement - zwei Materialien, die sehr unterschiedlich auf Wasser reagieren. Das wollen sich die Forscher zunutze machen. Ruß sei hydrophobisch und möge kein Wasser, erklärt Ulm. "Das heißt, wenn man Ruß in Wasser hineintut, so klumpt der sich zusammen", beschreibt der Professor. Das vergleicht er mit Mehl, das mit Wasser gemischt wird.
Ruß ist hochleitfähig
Zement hingegen liebe Wasser, so Ulm. Gibt man ihn zum Ruß-Wasser-Gemisch, ziehe Zement Wasser ab und es komme zu dieser Ausbildung eines voluminösen Drahtsystems - ein Netzwerk.
Ein riesiges Netz, ein Geflecht aus elektrisch hochleitfähigem Ruß, das sich bei dieser Mischung im Zement bildet, wird in einer Salzlösung als Elektrolyt getränkt. Zwei solcher Blöcke bilden dann die Elektroden des Kondensators. Sie werden durch eine Membran oder eine Isolationsschicht aus nicht leitfähigem Material getrennt, so dass beim Aufladen ein elektrisches Feld entstehen kann - und fertig ist der im Zement eingebettete Superkondensator.
Blitzschnell könnte die elektrische Ladung aus diesem System entnommen werden, und schnell könnte der Zement-Superkondensator auch wieder aufgeladen werden. Und dies in kurzen Abständen.
Kritik am Superkondensator
Die Idee, auf diese Weise die elektrischen Eigenschaften von Beton und Zement zu verändern, sei nicht ganz neu, sagt Pietro Lura, Professor an der Eidgenössisch Technischen Hochschule Zürich. An der EMPA, der Schweizerischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt, leitet Lura die Abteilung Beton- und Konstruktionschemie. Er hat noch etliche Fragen an die Forschenden vom MIT.
Material eignet sich nicht für jedes Bauprojekt
Je mehr Ruß und Salzlösung der Zementkondensator enthält, desto mehr elektrische Energie kann gespeichert werden. Aber die Qualität des Baustoffes leidet dann auch. Will man diese verbessern, lässt sich aber weniger Strom speichern - ein Zwiespalt. MIT-Professor Ulm sieht darin allerdings kein grundsätzliches Hindernis:
Bei Brücken wäre Ulm jedoch etwas vorsichtiger. Denn für Brücken werde festerer, weniger poröser Beton benötigt - "einfach deswegen, damit die eine Langzeitfestigkeit haben", sagt der Forscher.
Besteht der "Superkondensator" aus Beton Praxistest?
Den Schweizer Materialwissenschaftler Lura überzeugt das noch nicht. Die Eigenschaften des Stromspeichers aus Zement und Ruß hat das MIT-Forscherteam im Labor untersucht und gemessen, mit Hilfe der Raman-Spektrokopie - einer Methode, mit der die Strukturen unter anderem von Flüssigkeiten, Gasen und Kristallen bestimmt werden können, und zwar auf der Ebene von Molekülen, noch nicht in der Praxis. Und genau dazu hat Professor Lura Einwände.
Man habe nur mit Zementstein gearbeitet. "Und mit Zementstein kann man nicht bauen, das kann man nicht so verwenden", kritisiert Lura. Man müsse Gesteinskörnungen zumischen, was wiederum die elektrischen Eigenschaften stark beeinflusse. Er findet: "Man muss auch mit einem Beton oder einem Mörtel gearbeitet haben, und das hat man in diesem Paper nicht gemacht. Deswegen glaube ich, dass so manche Aussagen über die praktische Anwendung sehr unreif sind".
MIT-Professor Ulm ist wesentlich optimistischer - und er hat auch schon einen Zeitplan. Derzeit experimentiere das Forschungsteam bereits mit Zementsteinen, die mit ihren elektrischen Eigenschaften einer Zwölf-Volt-Autobatterie entsprächen. Und diese einzelnen Kondensatoren-Blocks ließen sich dann addieren.
In 18 Monaten könnte es den ersten Prototyp für ein energieunabhängiges Haus geben. Nur ein paar Wochen Entwicklungsarbeit also, bis die einzelnen Speichersteine aufeinandergestapelt kompatibel zur Stromversorgung im Eigenheim sind,
Energieunabhängige Häuser als nächstes Ziel
Gleichzeitig könnte man sich auch vorstellen, sagt Ulm, dass jedes dieser Gebäude dann ein Teil eines "Distributed Networks" für Energie wird. Das heißt, die Energie, die über den Tag hin in die Fundamente eines Hauses eingespeichert wird, könne in der Nacht, wenn keine Energie erzeugt wird, abgegeben werden in das Netzwerk.
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Viele Anwendungsmöglichkeiten
In drei Jahren könnte, so MIT-Professor Ulm, eine andere Anwendung Wirklichkeit werden: Induktives Laden von E-Autos auf Parkplätzen, ohne Ladekabel, alleine durch ein elektromagnetisches Feld.
"Auf lange Sicht gesehen hoffen wir, dass diese Technologie sich ausweiten lässt, um Straßen zu bauen, die gleichzeitig laden, wenn man darüberfährt", sagt Ulm. Damit könnte die Angst genommen werden, dass einem elektrischen Fahrzeug der Saft ausgeht. Hier spricht der Forscher jedoch von zehn, zwanzig Jahren Entwicklungszeit.