Tierwohl

Besseres Leben für Schweine: artgerechter, aber teuer

Stand
Autor/in
Patrick Hünerfeld
Onlinefassung
Lena Schmidt

Die Wissenschaft bietet konkrete Lösungen und Verbesserungen für den „Stall der Zukunft“ an. Doch mehr Auslauf, mehr Stroh und mehr Personal bedeuten auch Millioneninvestitionen.

Die Landesanstalt für Schweinezucht Boxberg (LSZ) ist kein gewöhnlicher Schweinestall. Hier lernen junge Landwirtinnen und -wirte zwar auch herkömmliche, konventionelle Ställe kennen – doch auch alternative Haltungsformen. Das Team um Hansjörg Schrade entwickelt und erforscht solche Alternativen sowie Möglichkeiten, wie man konventionelle Ställe tiergerechter machen kann.

Auch das Schwein „Brat Pig“ – englische Aussprache angelehnt an Schauspieler Brad Pitt – kam in Boxberg zur Welt. Wissenschaftsreporter Patrick Hünerfeld hat Brat von der Geburt bis zum Tod begleitet. Er hat sich die Bedingungen, unter denen das Ferkel aufgewachsen ist, in der ARD Wissen-Reportage „Besseres Leben für Schweine!“ genauer angeschaut.

Das Bild zeigt Brat Pig als Ferkel.
Brat Pig ist als kleinstes von 20 Ferkeln zur Welt gekommen. Durch seine schwarzen Flecken sticht er heraus. Arzt und Wissenschaftsjournalist Patrick Hünerfeld hat sein Leben bis zur Schlachtung flimisch begleitet.

Schicksal schon bei Geburt besiegelt

Der Wissenschaftsreporter weiß: Schweine wie Brat Pig existieren nur, um gegessen zu werden. Doch das Leben bis zur Schlachtung kann sich je nach Haltungsform stark unterscheiden. Viele setzen sich daher für ein besseres Leben der Zuchtschweine ein, darunter auch Nicole Kemper, Professorin an der Tierärztlichen Hochschule Hannover:

Ich will erreichen, dass es allen Ferkeln wie ihm, allen Schweinen, auch wenn wir sie am Ende essen, gut geht! Dass sie ein hohes Tierwohl erfahren während ihres gesamten Lebens. Und ich weiß, wie das geht!

Erste Station: Der konventionelle Abferkelbereich

Wenige Stunden nach Brat's Geburt steht die „Erstversorgung“ an – ein Standardprogramm für alle Ferkel.

Als Erstes werden die Zähne geschliffen und geschnitten, das heißt, die Spitze wird leicht gekappt, erklärt Hansjörg Schrade. Dadurch soll es weniger Verletzungen bei der Sau und unter den Ferkeln geben. Danach wird die Nabelschnur gekappt, falls sie noch zu lang ist. Zuletzt bekommt Brat Pig noch eine Nummer:

Und dann wird bei uns einfach, um die Nachvollziehbarkeit für jedes Ferkel zu gewährleisten, eine Einzeltierkennzeichnung eingeschoben. Die kriegen einen Chip und die kriegen eine Ohrmarke und eine durchlaufende Nummer, sodass man sich sowohl an der Nummer als auch am Chip nachher verfolgen kann.

Brat Pig hat Glück: In Boxberg ist die „Erstbehandlung“ nun vorbei und er behält seinen Ringelschwanz.  Das ist normalerweise nicht so. Weil Schweine sich mitunter gegenseitig in die Schwänze beißen, was manchmal zu gefährlichen Entzündungen führen kann, werden fast alle Schweine „kupiert“: ihnen wird ein Stück vom Ringelschwanz abgeschnitten.

Das Bild zeigt ein kleines Ferkel im Arm einer Person.
Nur etwa 1 Prozent der Schweine darf den Ringelschwanz behalten. Das Kupieren soll vor „Schwanzbeißereignissen“ schützen. Diese führen oft zu gefährlichen Infektionen, die behandelt werden müssen.

Schwanger bis zur Schlachtung: Sauen werfen zweimal pro Jahr

Zurück im Abferkelbereich legt sich Brat Pig zu seiner Mutter unter die Wärmelampe im „Ferkelnest“. Brat's Mutter liegt im sogenannten Kastenstand: Ein enger Metallkäfig, der „Ferkelschutzkorb“ genannt wird. Er soll die Ferkel davor schützen, versehentlich von der Sau erdrückt zu werden. So eng eingepfercht leben Millionen von Sauen – für zweieinhalb Monate pro Jahr. In der Natur wäre das anders:

Vor der Geburt bauen Sauen ein Nest, in der Regel, wenn sie Material haben, wo sie dann eben auch Abferkeln drin. Und das ist so natürlich nicht möglich.

Während die Ferkel gesäugt werden, kann sie eigentlich nur aufstehen und sich hinlegen, erklärt Kemper. Nachdem Brat Pig und seine Geschwister nicht mehr gesäugt werden, kommt die Mutter in den Deckstall. Ein paar Tage später soll sie dann wieder schwanger werden. Nach zwei bis drei Jahren kommen die Säue dann auch zum Schlachter, werden durch „Jungsauen“ ersetzt.

Neue Regeln zur Sauenhaltung ab 2035

Eine Alternative zur herkömmlichen Sauenhaltung mit Kastenstand: Ein sogenannter „Außenklimastall“. Einen solchen gibt es auch am LSZ. Hier kommt viel frische Luft rein. Die Tiere haben Stallboxen mit beweglichem Deckel. Bei Kälte ist der Deckel unten – bei Wärme und wenn man nach den Tieren schauen will, geht der Deckel hoch. „Ja, der Brat hat leider Pech gehabt. Der ist im falschen System geboren“, bedauert Kemper.

Im Vergleich zu Brat Pig und seiner Mutter ist es natürlich hier so: Die Sau ist überhaupt nicht fixiert, sie hat keinen Ferkelschutzkorb. Hier kann sie frei mit den Ferkeln, mit ihrem Wurf interagieren. Sie hat die Wahlfreiheit, sich hinzulegen, wo sie möchte, aufzustehen wann sie möchte und durch das Einstreu, das Stroh, das hier ist, ist natürlich auch noch viel mehr Möglichkeit gegeben, sie einfach auch besser noch zu beschäftigen.

Doch weil die neuen Regelungen zur Sauenhaltung erst ab 2035 gelten, lernen junge Landwirtinnen und -wirte weiterhin die konventionelle Sauenhaltung kennen.

Das Bild zeigt Patrick Hünerfeld (links) und Prof. Nicole Kemper (rechts) mit kleinen Ferkeln.
Patrick Hünerfeld (links) und Prof. Nicole Kemper (rechts) schauen sich in der Landesanstalt für Schweinezucht in Boxberg an, wie die Ferkel dort aufgezogen werden.

Kastration gegen Ebergeruch

Als Brat Pig fünf Tage alt ist, wird er kastriert. Fast alle männlichen Schweine werden kastriert, weil einige von ihnen später den sogenannten Ebergeruch entwickeln: Ihr Fleisch kann beim Erhitzen stinken. Dagegen gibt es zwar eine Impfung, aber die hat sich nicht durchgesetzt.

„Man kann da auch viel mit Fütterungen entgegenwirken“, sagt Kemper. Doch in Deutschland sei der Markt dafür nicht etabliert. Es werde erwartet, dass kastrierte Schweine abgeliefert werden. So werden auch Brat Pig und seine Brüder wie die meisten männlichen Schweine kastriert. Die Ausnahme: Unter anderem Brat Pig's Vater. Er ist ein Zuchteber.

Nach einem Monat: der Ferkelkindergarten

Nach etwa vier Wochen werden Mutter und Ferkel getrennt. Dann heißt es: „Absetzen“ – es gibt keine Muttermilch mehr. Brat's nächste Station ist der Ferkelaufzuchtstall. Sonnenlicht und frische Luft erfährt er nur auf dem Weg zum nächsten Stall.

Hier gibt es Betonboden, Spielkugeln und Strohschnipsel zur Beschäftigung. Viel Platz hat Brat dort nicht, etwas Tageslicht und keine echte Frischluft.

Das Bild zeigt viele Ferkel in einem Stall.
Glück und Pech entscheiden, in welchem System die Ferkel nach der Geburt aufwachsen.

Konventionelle Zucht billiger als Außenklimastall

Auch hier hat Brat den Kürzeren gezogen. Nebenan, im Außenklimastall, werden die Tiere in einer größeren Gruppe gehalten und mit großen Öffnungen für frische Luft.

Es sind Ferkel von verschiedenen Müttern, die nun gemeinsam aufwachsen. Die haben offenbar keine Langeweile – kein Wunder, denn sie können hier vor allem das tun, was ihre Verwandten, die Wildschweine, fast den ganzen Tag machen: Wühlen. 

Im Außenklimastall haben die Tiere sehr viel Platz, können nach draußen und je nach Klima und Jahreszeit die verschiedenen Bereiche unterschiedlich intensiv nutzen. Und das ist natürlich etwas, was sehr naturnah ist und den Tieren sehr entgegenkommt, sagt Prof. Dr. Nicole Kemper. Aus ihrer Sicht wäre es schön, wenn die Zuchtsysteme tiergerechter und mehr wie diese Alternative gestaltet würden.

Der Haken: Die herkömmliche Haltung ist billiger, ein Außenklimastall gilt als die Luxusform. Darum wachsen über 95 Prozent der Ferkel in konventionellen Ställen auf.

Wir wissen ganz genau, was ein Schwein braucht. Wir wissen, dass die Platz, Beschäftigungsmaterial brauchen, dass Zugang zu verschiedenen Klimazonen wichtig ist. [...] Die Herausforderung ist die Umsetzung: Wie schafft man es auch alle Landwirte mitzunehmen, oder möglichst viele, dass wir auch weiterhin Schweinehaltung in Deutschland haben, zukunftsfähige Schweinehaltung, die den Schweinen das alles ermöglicht?

Letzte Station: der Maststall

Brat Pig hat es in seinem Maststall etwas besser als der Großteil der Mastschweine. „Stall + Platz“ heißt seine Haltungsform nach der neuen Tierwohlkennzeichnung. In seinem Stall dürften rechnerich noch fünf weitere Schweinie leben. Doch auch zu zehnt ist es bereits recht eng. Und: Auch hier gibt es keinen weichen Boden, den Schweine so mögen und Brat kann, wie alle Schweine, nicht schwitzen. Wird es zu warm, sucht er Abkühlung – eine Suhle etwa – aber das gibt es hier nicht. Zur Beschäftigung gibt es zwar Spielzeug, aber keinen Auslauf.

Sobald Brat Pig sein Mastgewicht erreicht hat, wird er geschlachtet. Für Brat Pig sind für die kompletten dreieinhalb Monate Mastzeit 20 Minuten Arbeitszeit eingeplant. Im Außenklimastall wäre seine Haltung artgerechter, doch jede Minute Arbeitszeit kostet:

20 Minuten – Das ist in den jetzigen Haltungssystemen machbar. Aber in den zukünftigen Haltungssystemen, die wir anstreben und wollen, natürlich auf keinen Fall machbar, sondern wir müssen wir mit dem drei vierfachen an Arbeitszeit rechnen.

Ein knappes halbes Jahr nach seiner Geburt ist es so weit: Mit 113 Kilo geht es zum Schlachter. Auf dem Weg zum Schlachthof wird Brat Pig noch mal an die frische Luft können: Zum zweiten Mal in seinem Leben.

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