Monitoring in Klärwerken

Coronaviren im Abwasser - schnelles Erfassen von Fallzahlen

Stand
Autor/in
Hellmuth Nordwig
Onlinefassung
Antonia Weise

Durch Analysen des Abwassers zeigt sich das Virus früher als in offiziellen Statistiken. Doch genutzt wird diese Information in Deutschland bisher kaum. Warum eigentlich nicht?

Vor Weihnachten 2019 war das Coronavirus Sars-CoV2 noch völlig unbekannt. Doch schon zu diesem Zeitpunkt hatten sich Menschen in Norditalien infiziert. Das hat die nachträgliche Analyse des Abwassers aus Mailänder und Turiner Kläranlagen ergeben.

Dies ist nur ein Beispiel von vielen, welches eine frühe Identifizierung von Sars-CoV2 zeigt. Denn wer mit Sars-CoV2 infiziert ist, scheidet bei jedem Stuhlgang Bruchstücke des Virus aus.

Abwasser-Messungen: Verlauf der Infektionszahlen vorhersehen

Diese Virus-Bruchstücke finden sich im Abwasser des Haushalts wieder. So gelangen sie auch ins Kanalsystem. Infektiös sind sie dann glücklicherweise nicht mehr, denn es enthält keine lebenden Viren mehr.

Zwar lässt sich aus einer Messung nicht ablesen, wer oder wie viele Menschen infiziert sind, eine Überwachung durch häufige Analyse könnte den Gesundheitsbehörden jedoch weiterhelfen. Jörg Drewes ist Professor für Siedlungswasserwirtschaft an der TU München. Sein Labor misst in einem Pilotprojekt das Abwasser im Raum Berchtesgaden in Bayern:

"Erstmal kann man den Verlauf der Infektionszahlen ein Stück weit vorhersehen. Und zwar dadurch, dass man im Abwasser schon Viren findet, die von Infizierten stammen, die sich vielleicht erst kürzlich entschlossen haben, einen Test zu machen. Oder die noch unschlüssig sind".

Zulauf einer Kläranlage
Im Klärwerk Rosenthal in Leipzig kommt Abwasser am Zulauf der Kläranlanlage an. Zweimal wöchentlich werden hier Proben an das Institut für Mikrobiologie am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung zur Untersuchung auf Corona-Viren und Mutationen gegeben.

Bis diese Testergebnisse beim Gesundheitsamt landen würden und auch beim RKI in Berlin gemeldet werden würden, vergingen natürlich einige Tage. Genau das sei der Vorteil, so Jörg Drewes.

Mutanten wie Omikron schneller auf der Spur sein

Virusvarianten wie Omikron tauchen auch früher als in der Statistik auf. Ein Beispiel ist die zweite Dezemberwoche: Erst 1,4 Prozent der Sars-CoV2-Infektionen gehen auf Omikron zurück, sagt das Robert-Koch-Institut. Das Max-Delbrück-Centrum in Berlin findet zum gleichen Zeitpunkt schon fünf Prozent der Fälle - ein Hinweis auf die "Wand", die sich damals erst aufgebaut hat. Ähnlich ist ein Ergebnis aus München. Andreas Wieser vom dortigen Universitätsklinikum:

"Was wir beobachtet haben ist, dass die Konzentrationen im Abwasser früher angestiegen sind als die Meldezahlen. Und dass auch die genetische Zusammensetzung des viralen Genoms im Abwasser den Meldezahlen vorausgegangen ist."

Es gibt etliche solche Befunde aus dem Jahr 2021 auch von anderen wissenschaftlichen Gruppen, unter anderem aus Karlsruhe, Tübingen, Mainz und Trier.

Forscher*innen werten Abwasserproben aus Klärwerken aus und untersuchen sie nach dem Coronavirus
Im Institut für Umweltmikrobiologie am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) werten Forscher*innen Abwasserproben aus Klärwerken aus. Sie werden mit einem PCR-Test nach dem Erbgut des Coronavirus durchsucht.

Susanne Lackner von der TU Darmstadt sieht nicht nur Vorteile der Methode, was die Geschwindigkeit angeht. Wie viel getestet wird oder wie viele Personen sich testen lassen würden, wäre nicht davon abhängig. Denn dies sei für die Abwasseranalytik komplett irrelevant.

Schnelle Daten für Frühwarnsystem notwendig

Im Kanal kommt alles zusammen, ob die Menschen Symptome haben oder nicht. Trotzdem taugen die Messungen nur unter bestimmten Voraussetzungen als wirksames Frühwarnsystem. Und zwar: Die Daten müssen wirklich schnell vorliegen und so, dass sie leicht interpretierbar sind, sagt Jörg Drewes. Auf sogenannten Dashboards werden die Ergebnisse in Verbindung mit den Fallzahlen angezeigt.

Das bedeutet: Im Extremfall können die Forschenden einen Hotspot einer einzelnen Straße zuordnen. Im Berchtesgadener Land konnten die Behörden deshalb einen Corona-Ausbruch auf ein illegales Straßenfest zurückführen. Das ist jedoch nur durch weitere Voraussetzungen möglich gewesen. Erstens, es war eindeutig aus welchem Gebiet die Probe kam und zweitens, konnte klar erfasst werden, wo die Probe genommen wurde. Das ist nicht so selbstverständlich, denn in größeren Städten wie München gibt es Umgehungswege für das Abwasser. Andreas Wieser hat in München festgestellt:

"(...) es liegt auch daran, dass in den Bereichen, die wir beproben, sehr viele Menschen wohnen. Wenn Sie einen Bereich haben mit 150.000 Einwohnern, dann können Sie da natürlich einen kleinen Ausbruch nicht so einfach sehen."

Je mehr Menschen insgesamt infiziert sind, desto weniger aussagekräftig ist die Methode auch.

Abwasser-Methode wird ausgeweitet

Wissenschaftlich hat das Verfahren seine Grenzen, doch es könnte Tests sinnvoll ergänzen. Deshalb empfiehlt die EU eine flächendeckende Einführung. Schon ab Februar werden in Deutschland 20 weitere Abwasserprojekte starten.

Andere Länder wenden die Methode längst überall an, das berichtet Bernd Manfred Gawlik. Er ist bei der EU-Komission für das Thema zuständig. Beispielsweise die Niederlande, Finnland oder das Land Tirol. Aber an einem System orientiert sich Europa gerade - und zwar an dem katalanischen Abwassersystem: "(...) in einem Farbcode, der die virale Last angibt und einem zweiten Indikator, der anzeigt, ob die virale Last ansteigt, gleich bleibt oder absinkt. Das ist die Information, die wir auf europäischer Ebene gerne zusammentragen wollen."

Doch in Deutschland sind Gesundheitsämter und Abwasserwirtschaft zwei ganz verschiedene Bereiche und kommunal organisiert. Bedeutet: Viele Akteure reden mit, die Umsetzung dauert länger. Fortschrittlicher ist da die Niederlande. Jeder Bürger kann seit Monaten im Internet nachschauen, in welchen Kanälen gerade besonders viel Sars-CoV2 unterwegs ist.

Stand
Autor/in
Hellmuth Nordwig
Onlinefassung
Antonia Weise