Ist jetzt der richtige Zeitpunkt zu lockern?
Wir sind nicht weit vom Höhepunkt der Omikron-Welle entfernt. Es ist aber nicht klar, ob wir schon drüber sind oder nicht. Die Lage in den Krankenhäusern ist zwar nicht kritisch, aber noch entspannt sie sich auch nicht: Die Zahl der belegten Betten auf den Normal- und Intensivstationen steigt derzeit noch leicht an. Und zwei wichtige Fragen sind immer noch offen:
- Erstens wissen wir nicht, was passiert, wenn die Omikron-Welle die ungeimpften Älteren trifft – sie sind bisher größtenteils verschont geblieben. Die Welle erreicht jetzt erst die Alten und ganz Alten.
- Und zweitens ist unklar, was mit der Omikron-Sublinie BA.2 noch auf uns zukommt. Diese Variante ist zwar nicht bösartiger, aber nochmal ansteckender als die Omikron-Variante, die gerade bei uns grassiert.
Allerdings ist es keine ganz neue Variante, wie wir das bisher erlebt haben, sondern eine Sublinie von Omikron. Das könnte bedeuten, dass die Immunität, die die vielen Omikron-Infizierten jetzt aufgebaut haben, eine mögliche BA.2-Welle verhindern könnten. Das zeigt sich in den nächsten Wochen, ob BA.2 die Welle noch verlängert. Im Zweifelsfall müssen die Lockerungen verschoben werden.
Ab dem 20. März sollen nach dem aktuellen Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz alle "tiefgreifenderen Schutzmaßnahmen" entfallen, wenn die Situation in den Kliniken es zulässt.
Kontaktbeschränkungen für Geimpfte könnten wegfallen. Was würde das für das Infektionsgeschehen bedeuten?
Genau lässt sich das natürlich nicht sagen. Aber mehr Kontakte bedeuten für das Virus mehr Möglichkeiten, Menschen anzustecken. Es ist gut möglich, dass das Virus durch die aktuellen Kontaktbeschränkungen gerade nicht mehr genug Menschen findet, um sich zu verbreiten und die Zahlen deswegen allmählich zurückgehen. Ein bisschen wie ein Feuer, dem der Sauerstoff ausgeht.
Wenn jetzt alle auf einmal wieder sehr viel mehr Kontakte haben, dann könnte es auch wieder sehr viel mehr Infektionen geben, weil das Virus wieder Möglichkeiten zur Ansteckung findet. Wie frische Luft, die auf das erstickende Feuer strömt. Das könnte auch der Grund sein, warum in Dänemark aktuell die Zahlen wieder ansteigen, seit die Kontaktbeschränkungen aufgehoben wurden.
Auch, wenn man es wieder darf, sollte man trotzdem vorsichtig sein und sich lieber draußen treffen. Laut Aerosolforscher Gerhard Scheuch sind an der frischen Luft gar keine Maßnahmen mehr notwendig, da sich Aerosole und damit auch Viren so schnell verdünnen, dass praktisch keine Ansteckungsgefahr besteht.
Die Maskenpflicht wird nicht angerührt. Wie lange werden wir damit noch leben müssen?
Die Maskenpflicht ist ein sehr einfaches Mittel, dass sehr nützlich ist, deswegen wird sie wahrscheinlich als letztes fallen. Es kann sein, dass wir diesen Sommer schon ohne Maske einkaufen oder bus- und bahnfahren können, aber im Herbst werden die Zahlen wahrscheinlich wieder ansteigen. Dann haben wir hoffentlich eine höhere Impfquote und können weitgehend ohne Maßnahmen auskommen, aber es könnte sein, dass die Maskenpflicht dann wieder kommen wird.
Einige Menschen werden aber wahrscheinlich sowieso nicht mehr auf die Maske in der Öffentlichkeit verzichten. In einigen Ländern in Ostasien gehört die Maske schon lange zum Alltagsbild und das werden wir möglicherweise in Zukunft hier auch viel mehr sehen als vor der Pandemie.
Was spricht denn aus medizinischer Sicht dafür zu lockern? Immerhin sterben noch immer Menschen an den Folgen einer Corona-Infektion.
Für den Einzelnen, für die Einzelne kann das Virus immer gefährlich werden, deswegen spricht aus streng medizinischer oder medizin-ethischer Sicht sehr wenig für Lockerungen, gerade weil noch Menschen sterben. Für die Gesellschaft ist eine Rückkehr, nicht unbedingt zur Normalität, aber zu einer neuen Normalität natürlich wichtig – das wünschen wir uns ja alle – und dann müssen wir alle uns irgendwann fragen: Welches Risiko können/wollen/müssen wir uns leisten?
Es ist allerdings zu befürchten, dass die Lockerungsdiskussion von vielen aufgefasst wird, als wären wir über den Berg, als könnten wir durchatmen. Wir müssen aber weiter vorsichtig bleiben, denn – so ist es einfach noch: Es sterben immer noch Menschen am Coronavirus.
Der Virologe Klaus Stöhr fordert eine Aufhebung aller G-Regeln in Einzelhandel und in Gastronomie, da beides nie Hotspots waren. Kann man das – medizinisch – so stehen lassen?
Es ist sehr schwer, da verlässliche Zahlen zu erheben. Einer Studie zur Wirksamkeit von Lockdowns zufolge, konnten durch die Schließung von Gastronomie während der ersten Welle viele Todesfälle verhindert werden – also ein gewisses Infektionsgeschehen muss es da schon geben.
Aber die G-Regelungen sind sicherlich mit die ersten Maßnahmen, die man lockern könnte. Für den Aufwand, den man dafür betreiben muss, sind diese Regeln wahrscheinlich nicht wirksam und zuverlässig genug und gleichzeitig könnte so eine Lockerung die Moral und das Verständnis für das Beibehalten von anderen Maßnahmen in der Bevölkerung stärken.