Vor wenigen Monaten erregten Paläoanthropologen weltweit Aufsehen mit ihren vermeintlichen Sensationsfunden zu Homo naledi, vor rund 300.000 Jahren lebenden Frühmenschen. Einige Vertreter aus der Wissenschaft zweifeln an der Validität der Funde und sehen natürliche Ursachen für die vermeintlichen besonderen Fähigkeiten des Homo naledi.
Die Funde aus dem Rising-Star-Höhlensystem in der Nähe von Johannisburg, Südafrika sind unbestritten sensationell. Nach seinem Fundort benannt, nimmt der Homo naledi seinen Platz im Stammbaum des Menschen ein.
Der Streit über die Fähigkeiten unseres Vorfahren hat jetzt allerdings eine wissenschaftliche Grundlage.
So groß die Sensation, so groß die Kritik
Der Frühmensch soll Feuer gemacht haben, Höhlenbilder in Form von Felsritzungen und sogar seine Toten bestattet haben. Ein so komplexes Verhalten würde die Menschheitsgeschichte revolutionieren. Viele Forscher*innen hielten die Forschungsergebnisse aus der Dinaledi-Höhle für unwahrscheinlich.
Eine neue Studie belegt nun, dass die Interpretationen der Funde um Homo naledi tatsächlich zu weit griffen. Ein internationales Team um María Martinón-Torres vom spanischen Forschungszentrum für menschliche Evolution (CENIEH) suchte Beweise dafür, dass Homo naledi tatsächlich seine Toten begraben und Felszeichnungen produziert hat - leider ohne Ergebnis.
Der Ursprung des Homo naledi: Ein kurzer Rückblick
Die Geschichte des Homo naledi beginnt im Jahr 2013, als Paläoanthropologen in der Rising-Star-Höhle in Südafrika Fossilien einer bis dato unbekannten Frühmenschenart entdeckten. Menschenähnliche Knochen von mindestens 15 Individuen hat man in der sehr schwer zugänglichen Höhle gefunden.
Der Homo naledi, so benannt nach seinem Fundort, lebte vor etwa 300.000 Jahren und wies sowohl archaische als auch moderne Merkmale auf. Auffallend ist das kleine Gehirn. Das Volumen entspricht nur einem Drittel des Gehirns des modernen Menschen. Bei einer Körpergröße von 1,50 Meter ein kleines, aber modern strukturiertes Gehirn, was in der Wissenschaft Faszination auslöste.
Im Juni 2023 präsentierte das Team um Lee Berger von der University of the Witwatersrand dann bahnbrechende Funde. Sie behaupteten, dass einige Homo naledi-Skelette bestattet wurden, der Frühmensch zudem Felsritzungen und Spuren von Feuer in der Höhle hinterlassen habe. Diese Fähigkeiten wurden bislang nur dem Homo sapiens und möglicherweise dem Neandertaler zugeschrieben.
Kritik und Zweifel nehmen zu
Schon bei der Veröffentlichung stieß die Interpretation auf erhebliche Skepsis. María Martinón-Torres, Forscherin für menschliche Evolution, äußerte, dass die Belege nicht ausreichen würden, um Aussagen über Fähigkeit des Feuermachens oder gar Bestattungen zu sprechen. Kritisiert wurde zudem, dass die Fachartikel als Preprints veröffentlicht wurden und somit keiner Fachbegutachtung unterlagen.
In einer Veröffentlichung im renommierten "Journal of Human Evolution" legte Martinón-Torres' Team mehrere Argumente gegen die Schlussfolgerungen von Berger und seinem Team dar. Insbesondere die geometrischen Muster an den Höhlenwänden, interpretiert als Ritzungen, werden angezweifelt. Koautor Andy Herries von der La Trobe University in Melbourne vermutet, dass diese Muster natürliche Verwitterungen des Gesteins sind. Ähnliche Muster aus Rissen und Brüchen findet man in der Malmani-Dolomitformation, wo auch die Rising-Star-Höhle ist.
Früheste Bestattung der Menschheitsgeschichte oder natürliche Prozesse?
Ein großer Kritikpunkt betrifft die vermeintlichen Bestattungen der Homo naledi. Lee Berger und sein Team behaupten, die gestörte Sedimentstruktur zeuge von absichtlichen Begräbnissen. Martinón-Torres und ihr Team sehen hingegen keine eindeutigen Belege dafür und bemängeln unzureichende mikromorphologische Analysen des Sediments. Eine mögliche Erklärung wäre, dass natürliche Prozesse, wie Überflutungen, die Knochen an die Stellen transportiert haben.
Spuren von Feuer und unklare Beweislage
Die Behauptung, dass Homo naledi das Feuer beherrschte, wird ebenfalls angezweifelt. Die Rußablagerungen, auf die sich Lee Berger beruft, sind nicht undatiert geblieben. Also könnte der Ruß auch auf natürliche Brände oder Verfärbungen durch Mangan zurückzuführen sein, so die Kritiker. Zusätzlich kommt die Frage nach der Unzugänglichkeit der Höhle auf: Fotos deuten darauf hin, dass die Höhle schon vor dem Team von Lee Berger betreten wurde, was die Behauptung der Unberührtheit infrage stellt.
Fehlende Beweise für revolutionäre Behauptungen
Zusammenfassend bestätigen die Kritiken die bereits im Sommer 2023 geäußerten Zweifel. Die Interpretationen von Lee Berger und seinem Team erscheinen womöglich voreilig und auf lückenhafter Methodik basierend. Das Forschungsteam um María Martinón-Torres fordert weitere wissenschaftliche Analysen, um die revolutionären Aussagen über den Homo naledi zu untermauern.
Die Entdeckung des Homo naledi bleibt zweifellos erstaunlich. Für die Akzeptanz in der Evolutionsforschung über die außergewöhnlichen Fähigkeiten und Bestattungspraktiken dieses Frühmenschen erfordert es jedoch überzeugendere Beweise.