„Wer hat an der Uhr gedreht? Ist es wirklich schon so spät?“, fragt die Titelmusik des rosaroten Panthers. Die Antwort ist klar: Ja, es ist schon so spät. Genau genommen ist es jetzt schon eineinhalb Millisekunden früher „so spät“, um bei Paulchen Panther zu bleiben. Um es zeitlich noch präziser festzumachen: Der 19. Juli 2020 war der kürzeste je gemessene Tag. Die Erde hat sich in diesen 24 Stunden 1,46 Millisekunden schneller gedreht, als sie es sonst tut.
Erde rotiert schneller
Seit rund 70 Jahren gibt es eine hochpräzise Aufzeichnung der Erdrotation und somit eine langfristige Zeitreihe, wie sich die Länge der Tage mit der Zeit verändert, so Florian Seitz, Präsident der Kommission für die Rotation der Erde der Internationalen Astronomischen Union. Gleich 28 Tage unterboten im vergangenen Jahr die kürzeste Tageslänge, die Geodäten bis dahin je gemessen hatten. Diese Entwicklung kam nicht überraschend.
„Das heißt, die Erde hat sich um zwei Millisekunden schneller gedreht. Das ist mit heutigen geodätischen Weltraumverfahren sehr gut messbar“, ergänzt Mathis Bloßfeld vom Deutschen Geodätischen Forschungsinstitut der Technischen Universität München. Die Geodäten sind sich sicher: Es ist kein Messfehler, der ihnen eine beschleunigte Erdrotation vorgaukelt. Quasare, eine Art leuchtende Schwarze Löcher, die am weitesten entfernten Objekte im Universum, bestätigen die Messungen.
Quasare sind so weit weg, dass sie quasi am nächtlichen Sternenhimmel fest gepinnt sind. Ihre Positionen verändern sich nicht. Forscher schauen also nach oben und warten darauf, dass ein und derselbe Quasar wieder an der gleichen Stelle steht, die Erde also eine Drehung um die eigene Achse hinter sich hat. Und dabei kam heraus, dass die Erde es 2020 eilig hatte – so eilig wie noch nie.
Das Wetter und der innere Aufbau der Erde beeinflussen die Rotation
Auf der Suche nach Gründen tappen die Wissenschaftler noch im Dunkeln. Einflüsse von außerhalb, aus dem All, scheiden aus. Bleiben Veränderungen im inneren Aufbau unseres Planeten.
Geschmolzenes Eisen und flüssiges Nickel im Kern und Gestein aus dem Erdmantel tauschen sich untereinander aus, reiben aneinander und beeinflussen dadurch den Drehimpuls des Planeten. „Wie diese Kopplungsmechanismen zwischen Kern und Mantel genau ablaufen und wie sie demnach die Erdrotation beeinflussen, ist aber nach wie vor nur sehr eingeschränkt bekannt“, sagt Florian Seitz. Unklar ist auch, ob die Erde in diesem Jahr zur Ruhe kommt, oder ob sie weiterhin auf Hochtouren läuft.
La Niña ist ein Wetterphänomen im Pazifik, das noch bis ins Frühjahr dort sein Unwesen treiben wird. Während einer La-Niña-Phase strömen die westwärts gerichteten Passatwinde, die also der Erddrehung entgegenlaufen, stärker als gewöhnlich, so Florian Seitz. Diese Winde verlangsamen die Drehung der Erde jedoch nicht. Die Winde bremsen die Atmosphäre ab, die mit der Erde rotiert. Was der Atmosphäre an Drehimpuls genommen wird, wird der festen Erde unter ihr hinzugefügt. Die Erde dreht sich damit schneller.
In fünf Jahren könnten die Atomuhren falsch laufen
Sollte sich die Drehung der Erde auch 2021 beschleunigen, könnten die Zeitmesser dieser Welt in vielleicht fünf Jahren vor einem Problem stehen. Dann passen Erdrotation und Atomuhren nicht mehr zusammen. Erstmals in der Geschichte der Menschheit müsste dann eine Schaltsekunde nicht eingefügt, sondern abgezogen werden.
Und so könnte es dann vielleicht schon in ein paar Jahren erstmals eine Zeit geben, die es nicht gibt und die in künftigen Geschichtsbüchern als Schwarzes Loch erscheinen wird: Eine Nullzeit, eine ausgefallene Sekunde, die ins Nichts führt.