Glaube

Wie viel Religion steckt in der Astrophysik?

Stand
Autor/in
Harald Lesch

Schwarze Löcher, dunkle Materie, dunkle Energie, Strings, Sparks und Quads. Die sind genauso unverstehbar, unanschaulich und unbegreifbar wie Trinität, Menschwerdung Gottes, Jungferngeburt, Auferstehung von den Toten oder die leibliche Aufnahme Mariens in den Himmel. Man versteht einfach nicht mehr, sondern man muss glauben. Was unterscheidet die neueste Physik von der Theologie?

Naturwissenschaft ist transparent und steht allen offen

Ein wesentlicher Unterschied ist die Transparenz. Die Naturwissenschaften stehen allen offen. Wir sind kein Geheimclub. Wir sind kein Club, der von seinen Mitgliedern irgendwie fordern würde: "Glaube!" Sondern wir sind vor allen Dingen Zweifler. Der Zweifel ist die Methode, mit der wir arbeiten. Wir nehmen nichts hin, sondern wir versuchen, soweit es nur irgendwie geht, Aussagen von anderen oder von Experimenten selbst zu überprüfen, um herauszufinden, ob denn das, was da gesagt oder behauptet worden ist, auch stimmt.

Das bedeutet natürlich nicht, dass wir dann die Wahrheit kennen. Aber wir kommen auf diese Art und Weise zumindest dieser naturwissenschaftlichen Realität, die um uns herum ist, etwas näher. Wir können eine ganze Menge verstehen, aber wir können nicht alles verstehen.

Das Problem ist nun, dass, je länger die naturwissenschaftliche Forschung andauert, sich immer dabei mehr auch sprachlich etwas tut. Wir entwickeln Begriffe wie dunkle Materie, dunkle Energie, schwarze Löcher und so weiter.

Für uns Naturwissenschaftler haben diese Begriffe eine gewisse Bedeutung, weil sie im Rahmen von naturwissenschaftlichen Theorien entwickelt worden sind oder einfach mal geformt worden sind. Das ist ein bisschen wie die Fachsprache anderer Handwerker, die natürlich auch ihre Abkürzungen haben. Wenn Sie sich mit einem Maschinenbauer unterhalten und sagen: "Gib mir mal einen 14er Schlüssel" – dann weiß der gleich, worum es geht und das weiß auch jeder, der mit solchen Schlüsseln zu tun hat.

Ich würde also einen deutlichen Schnitt machen wollen zwischen Naturwissenschaft und Theologie. Die Naturwissenschaften waren im Abendland eine Gegenbewegung zu jeder Art von Religion. Die Naturwissenschaften haben versucht, die Deutungshoheit der Amtskirchen zu bekämpfen. Das ist ihnen auch offenbar sehr gut gelungen. Denn große Teile der letzten 400 Jahre europäischer Kulturgeschichte waren ein einziges Rückzugsgefecht für die Theologie, weil sie sich auf den Gedanken eingelassen hat, man könne Gott als Lückenbüßer hernehmen. Denn überall da, wo das Wissen der Menschen nicht ist, da sei Gott.

Diese Auseinandersetzung würde heute dazu führen, dass wir eine Gottesvorstellung hätten, die nur noch eine Bonsai-Variante von Gott wäre. Das hat zumindest mit meinem christlichen Gottesverständnis überhaupt nichts mehr zu tun. Aber das nur am Rande.

Mathematik als Sprache der Naturwissenschaften

Der wirkliche Unterschied ist die Transparenz. Naturwissenschaften kann jeder durchführen. Alle sind eingeladen, an die Universitäten, an die Hochschulen zu kommen und Naturwissenschaften zu studieren. Das ist am Angang ein etwas steiniger Weg, weil man eine "Sprache" lernen muss. Denn die Naturwissenschaften sind auch eine sprachliche Auseinandersetzung. Weil wir eine quantitative, also messende und berechnende Wissenschaft sind, ist die Sprache, mit der wir uns mit der Natur auseinandersetzen, die Mathematik. Die Mathematik macht uns immer die größten Schwierigkeiten. Aber wir müssen in der Lage sein, zu erklären, was wir tun. Jeder Mann und jede Frau kann sich beteiligen, die Laboratorien und Universitäten stehen allen offen.

Das unterscheidet uns schon von jeder Religion, die ja gewissermaßen verlangt, das zu glauben, was an Glaubenssätzen irgendwann mal definiert worden ist. Und da sind wir in den Naturwissenschaften natürlich eher in einem Prozess. Wir haben kein Weltbild in dem Sinne "Das ist so und so und so." Sondern es ist ein Prozessbild.

Es gibt durchaus naturwissenschaftliche Überlegungen zur Bedeutung von Religion; die sogenannte Prozesstheologie, wonach sich nicht nur unser Gottesbild verändert, sondern sich unser gesamtes Weltverständnis nicht zuletzt dadurch verändert, dass wir Naturwissenschaften betrieben und festgestellt haben, wie wunderbar die Welt ist.

Stoßen auch Astrophysiker an Grenzen des Verstehbaren?

Ja, natürlich. Man darf nicht unterschätze: Ein großer Teil der Naturwissenschaften ist Handwerk. Das Handwerkszeug gehört dazu und man lernt erst mal, mit den Dingen umzugehen, sie erst mal zu handhaben, bevor man sie durchdringt und bevor man auch versteht: "Mensch, das eine hängt mit dem anderen ja so und so zusammen!" Bis dahin vergeht eine Zeit.

Kenntnisse verwandeln sich in Erkenntnisse

Man kann es auch vergleichen mit jemand, der ein Musikinstrument spielt. Da müssen Fingerübungen gemacht werden und Kompositionslehre. Erst, wenn du das einigermaßen kannst, kannst du anfangen zu improvisieren.

Ein großer Teil von "Erkenntnis" hat ja mit "Kenntnis" zu tun. Das heißt, man muss erst einmal Kenntnisse haben, die sich dann in Erkenntnisse verwandeln. Ich glaube, dass viele da sehr ungeduldig sind. Sie wollen sofort etwas sein, anstatt etwas zu werden. Dieser Werde-Vorgang, gerade wenn man Naturwissenschaften oder Philosophie betreibt, dieses langsame Werden, dieses langsame Wachsen – das ist so wichtig, um a) anzuerkennen: Es gibt Grenzen. Aber b) auch zu wissen, was man kann – und was man nicht kann.

SWR 2008

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Religion

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Das Wort kommt aus der hebräischen Bibel, also dem "Alten Testament“, und zwar aus dem zweiten Satz. Der erste lautet bekanntlich: Am Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde. "Bereschit bara Elohim et haSchamaim we‘et ha‘arez“, und dann geht es gleich weiter: va ha‘arez hajita tohu vavohu. Und die Erde war wüst und leer. Dieses "wüst und leer“ ist somit nichts anderes die Lutherübersetzung des biblischen "Tohuwabohu“ ("b“ und "v“ werden im Hebräischen durch den gleichen Buchstaben dargestellt)
"Tohu“ bedeutet so viel wie "leer“, "vohu“ entspricht dem deutschen Begriff öde oder eben wüst. Und das "wa“ heißt einfach nur "und“. Also eigentlich steht da, strenggenommen nicht: Die Erde war wüst und leer, sondern umgekehrt: leer und wüst. Aber die Freiheit hat sich Luther genommen.
Diesen Ursprung des Ausdrucks kennen heute viele nicht mehr – heute ist Tohuwabohu einfach ein Synonym für Chaos – was ja in der Bibel auch gemeint war: Die Welt war völlig unsortiert. Es gab keine Trennung von Land und Wasser, noch nicht einmal von Licht und Finsternis. Das war das Tohuwabohu der Bibel.
Sprachlich interessant ist auch, dass der Bibeltext zwei klanglich ähnliche Wörter verwendet, eben "tohu“ und "bohu“. Das ist ein sprachliches Stilmittel, ein "Homoioteleuton“ – das kennen wir im Deutschen auch in Ausdrücken wie: "Klein, aber fein“, "richtig und wichtig“, "Lug und Trug. Aber diesen Gleichklang von Tohuwavohu ins Deutsche zu übertragen, das hat selbst der sprachverliebte Martin Luther nicht geschafft. Auf "wüst“ reimt sich nun mal nichts Passendes. Wenn man es drauf anlegt, könnte man texten: Die Erde war öde und schnöde … aber das trifft nicht wirklich den Zustand des Tohubabohu. Von Gábor Paál | Text und Audio dieses Beitrags stehen unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-NC-ND 4.0.

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Harald Lesch

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