Großstadtleben als Krankheitsfaktor
Wie sehr das Großstadtleben viele Menschen belastet, belegen alarmierende Studienergebnisse: Großstädter leiden unter bestimmten psychischen Erkrankungen deutlich häufiger als die ländliche Bevölkerung. Besonders gefährdet sind Menschen, die bereits in einer Großstadt geboren und aufgewachsen sind.
Die Neurowissenschaftlerin Simone Kühn, Professorin am Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, fasst den Kenntnisstand zusammen: Gerade Angsterkrankungen treten häufiger auf, genauso wie Depressionen und Schizophrenien.
Grün wird in der Stadt künftig noch wichtiger werden
Nichts hilft so gut gegen Großstadt-Stress wie wohnortnahes Grün. Das bestätigen Umfragen ebenso wie Messungen der Stresshormone im Blut von Stadtbewohnern vor und nach einem Aufenthalt im Grünen.
Grün wird in der Stadt deshalb wichtiger werden. Denn die Klimaerwärmung wirkt sich besonders stark in dicht bebauten Innenstädten aus, weil Stein und Beton die Hitze speichern.
Nach heißen Tagen liegen dort die Temperaturen nachts bis zu zehn Grad höher als im Umland. Und tagsüber ist es bis zu vier Grad wärmer. Das zeigen Messungen von Klimatologen der TU Berlin. Diese Hitze stresst besonders Kinder, kranke und ältere Menschen. Deutlich stärkere Begrünung, Wasser und Frischluftschneisen können verhindern, dass sich die Innenstädte so stark aufheizen, haben Wissenschaftler des Umweltbundesamtes und anderer Institute festgestellt.
Belastungen im Verkehr
Fußgänger und Radfahrer sind im Stadtverkehr angespannt: Das legt jedenfalls die Auswertung von Rundgängen von bisher über 100 Probanden in verschiedenen Städten nahe.
„Urban emotions“ heißt das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Projekt, das den Stress in Großstädten erfasst. Peter Zeile vom Karlsruher Institut für Technologie, kurz KIT, leitet das Projekt, an dem außerdem Wissenschaftler der Unis Heidelberg und Salzburg beteiligt sind.
So wird der Stress im Straßenverkehr gemessen
- Während der Rundgänge der Probanden zeichnet ein GPS-Sensor auf, durch welche Straßen sie gehen.
- Die umgeschnallte Videokamera filmt die jeweilige Umgebung.
- Ein mit Sensoren bestücktes Smartband signalisiert, wenn sich die Testperson irgendwo unterwegs gestresst fühlt.
Das technische Equipment des Urban-Emotion-Projektes wird derzeit noch erprobt. Wenn es künftig serienmäßig zur Verfügung steht, soll es Stadtplaner in ganz Deutschland unterstützen. Sie können dann größere Gruppen von Probanden durch jede Stadt schicken, um so besondere Stress-Orte aufzuspüren und nach Möglichkeit zu verändern.
Bluthochdruck und Schlafstörungen als Symptome von Stadtstress
Die körperlichen Folgen von anhaltendem Lärm sind schon länger nachgewiesen: Bluthochdruck und Schlafstörungen sind bekannte Beispiele. Außerdem schädigen Autoabgase die Gesundheit der Anwohner an stark befahrenen Straßen. Sie leiden häufiger unter Atemwegsinfekten.
Elektro-Autos verringern Straßenlärm nicht
E-Autos sind abgasfrei und etwas leiser als Verbrennungsmotoren. Insofern könnten sich diese Stressfaktoren zwar reduzieren, meint die Psychologin und Verkehrsplanerin Dr. Katrin Dziekan. Sie leitet beim Umweltbundesamt (UBA) das Ressort Umwelt und Verkehr. Doch nur bis 30 km/h sind Elektro-Autos wirklich leise, danach dominieren die Fahrgeräusche. Diese sind wiederum, vergleichbar mit einem alten Verbrenner-Modell.
Autos beanspruchen viel Platz
Jedes parkende Auto beansprucht gut 13 qm – das Zehnfache eines abgestellten Fahrrads. Dieser öffentliche Raum ist für andere Nutzungen verloren – und damit für die Allgemeinheit.
Das UBA, der Verkehrsclub Deutschlands und die Fahrradverbände wollen darum den öffentlichen Raum neu verteilen: Weniger Platz für Autos, dafür breitere Fuß- und Radwege, mehr Grünflächen. Das würde den Dichtestress der Städter senken. Und kommt den Wünschen der meisten Einwohner Deutschlands entgegen: 82 Prozent wollen eine Städteplanung, die nicht mehr wie bisher auf das Auto ausgerichtet ist.
Produktion 2019