Schwindel: Symptom und Warnsignal
Drehen wie im Karussell, Schwanken wie auf einem Schiff in stürmischer See oder schlicht ein Benommenheitsgefühl – laut Angaben verschiedener Fachgesellschaften und Fachärzte erleben rund 30 Prozent aller Menschen in Deutschland irgendwann in ihrem Leben einen Schwindel.
Neben Kopf- und Rückenschmerzen gehört Schwindel zu den häufigsten Beschwerden, die Menschen zum Arzt führen. Allerdings ist Schwindel "nur" ein Symptom, ein Warnsignal. Die Suche nach dem Auslöser kann für die Betroffenen zur Odyssee werden.
Häufigste Schwindelursache ist ein gutartiger Lagerungsschwindel
Eine der häufigsten Schwindelursachen ist sicherlich der sogenannte gutartige Lagerungsschwindel, so Dr. Dominik Bless-Martenson. Der Facharzt für HNO-Heilkunde und Oberarzt am Universitätsklinikum in Tübingen hat sich auf Schwindel spezialisiert.
Der Lagerungsschwindel wird durch eine mechanische Störung im Innenohr, insbesondere in den sogenannten Winkelbeschleunigungsmessern im Innenohr, hervorgerufen. Das sind kleine Organe, die messen, wie sich unser Kopf bewegt. Durch bestimmte Bewegungen oder Positionen wird der Drehschwindel ausgelöst.
Lagerungsschwindel ist harmlos und gut behandelbar
Auch wenn sich das schnelle Karussell vor Augen bedrohlich anfühle, sei der gutartige Lagerungsschwindel harmlos und gut behandelbar, sagt Oberarzt Dominik Bless-Martenson. Beim Lagerungsschwindel besteht die Behandlung in einer Übung oder in Übungen, die der Patient selber durchführen kann oder die der Arzt mit dem Patienten gemeinsam durchführt.
Die "Schwindel-App" zur ersten Schwindeldiagnose
Um die Kommunikation zwischen Arzt und Patient zu verbessern, hat Dominik Bless-Martenson eine kostenlose "Schwindel-App" entwickelt. Sie ermöglicht in wenigen Minuten eine Selbstanamnese. Er betont, dass diese App nur eine Unterstützung für die Ursachenfindung ist. Sie ersetzt keinesfalls ein Arztgespräch.
Die Schwindel-App kennt bis zu 16 verschiedene Ursachen. Anhand der hohen Treffsicherheit der Schwindel-App kann für den Hausarzt und den Patienten vor allen Dingen die weitere Untersuchung oder Ursachenforschung in vielen Fällen sehr viel einfacher und leichter machen, so Dominik Bless-Martenson.
Deutsches Schwindel- und Gleichgewichtszentrum in München
Die Münchener Tagesambulanz des "Deutschen Schwindel- und Gleichgewichtszentrums" ist für viele schwindelgeplagte Patientinnen mit ungeklärtem Schwindel oft die letzte Hoffnung. In diesem integrierten Forschungs- und Behandlungszentrum arbeiten seit 2009 mehrere Bereiche interdisziplinär zusammen: HNO-Spezialisten, Neurologinnen, Augenärztinnen und Psychiater.
Im Durchschnitt hätten sie 4.500 Patienten pro Jahr, erläutert der Neurologe und Leiter des Schwindelzentrums Dr. Andreas Zwergal. Hierher kommen die schwierigsten Fälle.
Schwindel gilt als Alarmzeichen des Gehirns
Schwindel ist ein Hinweis darauf, dass etwas in dem System, das unser Gleichgewicht regelt, gestört ist.
Das Gehirn bezieht normalerweise seine Informationen für das Gleichgewicht aus drei Quellen:
- aus dem Gleichgewichtsorgan im Ohr
- aus den Augen und
- aus den Bewegungsmeldern in Muskeln und Gelenken
Im Deutschen Schwindel- und Gleichgewichtszentrum wird genau dieses Zusammenspiel zwischen Gleichgewichtsorgan im Innenohr, Augen und Muskeln und Gelenken mittels verschiedener Tests untersucht.
Forschung zu Schwindel und Schlaganfall
Auch die Schwindelforschung hat in München ihren Platz. Andreas Zwergal hat zum Beispiel mit seinen Kolleginnen und Kollegen das System "Catch 2" entwickelt – einen Fragenkatalog für Notaufnahmeärzte, um die Gefahr eines Schlaganfalls bei Schwindelpatienten schnell zu erkennen.
Da Schwindelgefühle ein Hinweis auf einen Schlaganfall sein können, müsste die Diagnose schnell gestellt werden, fordert Zwergal. Etwa jeder zehnte Schlaganfall mit dem Leitsymptom Schwindel werde in der Praxis sonst übersehen, so Zwergal.
Frauen trifft der Schwindel öfter als Männer
Frauen trifft der Schwindel öfter als Männer – warum das so ist, wissen die Fachleute nicht. Sie können auch rund zehn Prozent der von Schwindel Betroffenen nicht therapieren. Denn sie finden einfach keine Ursache, räumt der Leiter des Deutschen Schwindelzentrums in München, der Neurologe Andreas Zwergal, ein. Diesen Patientinnen und Patienten könnten sie nur dabei helfen, ihr Leben trotz Schwindels möglichst gut zu bewältigen.
Diagnose Autoimmunkrankheit: das Cogan-Syndrom
Nach einer zweijährigen Odyssee zwischen mehreren Fachärzten und Krankenhäusern brachten Martina Ringel ihre Gleichgewichtsstörungen, zu denen auch noch ein gerötetes Auge hinzukam, an die Schwindelambulanz des Uniklinikums Homburg/Saar. Die dortige HNO-Ärztin Dr. Veronika Flockerzi äußerte als erste den Verdacht, dass es sich bei dieser Symptomatik um eine Autoimmunkrankheit handeln könnte. "Eine Autoimmunerkrankung ist eine Erkrankung, wo der Körper sich oder Teile davon bekämpft. Das führt zu unterschiedlichen Symptomen, die den ganzen Körper betreffen können."
Die HNO-Ärztin weiß, das Tückische bei solchen Erkrankungen ist, dass die Ohruntersuchung völlig unauffällig ist. "Man sieht einen reizfreien Gehörgang, ein normales Trommelfell. Die Entzündungsreaktion ist im Innenohr - und somit sieht man sie bei der normalen Untersuchung nicht." Der Hörtest macht damals deutlich: Das Innenohr - dort wo der Gleichgewichtssinn sitzt - ist entzündet. Rechts ist Martina Ringel bereits taub, das linke Ohr funktioniert noch gut.
Die Spaltlampenuntersuchung des geröteten Auges komplettiert das Diagnose-Puzzle: Entzündungen in Auge und Ohr, massive Schwindelattacken. Diese drei Symptome zusammen bestätigen den Anfangsverdacht der Ärztin: Martina Ringel leidet an einer Autoimmunkrankheit, dem sogenannten Cogan-Syndrom. Aus der Schwerhörigkeit kann eine Ertaubung werden, aus der Gleichgewichtsstörung ein kompletter Gleichgewichtsausfall. Die Augen-Beteiligung kann zur bleibenden Beeinträchtigung führen. "Und die übrigen Organ-Beteiligungen, zum Beispiel an den großen Gefäßen, können voranschreiten bis zum Tod des Patienten."
Antikörper als dauerhafte Therapie
Mit einer speziellen Antikörpertherapie, alle sechs Wochen per Infusion, bekommt Martina Ringel ihre Krankheit seit fünf Jahren in den Griff. Auch wenn sie auf dem rechten Ohr leider taub geblieben ist, alle anderen Symptome sind weg. Die Therapie ist gut verträglich. Die unangenehmen Schwindelattacken waren letztlich der entscheidende Durchbruch auf der Suche nach der korrekten Diagnose - sie haben die behandelnden Ärztinnen und Ärzte auf die richtige Spur gebracht.