Irland ist Top-Exporteur für Weidemilch – hier leben mehr Kühe als Menschen
In Irland fressen Milchkühe noch Gras. Dank des irischen Vollweidesystems dürfen die Tiere fast ganzjährig draußen auf der Weide stehen. Dort haben sie nicht nur mehr Auslauf als ihre Artgenossen im Stall, sondern erzeugen im Vergleich auch weniger Treibhausgas.
Naturnah und tiergerecht produzierte Weidemilch ist auf dem Weltmarkt gefragt. Darum setzten Politik und Agrarlobby lange auf Wachstum und Export. In den letzten 7 Jahren steigerte Irland die produzierte Milchmenge um 50 Prozent auf über 7 Milliarden Liter pro Jahr. 80 Prozent davon werden exportiert – als Milchpulver, Butter oder Käse.
Mittlerweile leben mehr als 7 Millionen Rinder auf der grünen Insel, davon 1,6 Millionen Milchkühe. Zum Vergleich: Irlands Bevölkerung zählt 5 Millionen Menschen.
Zu viel Nitrat im Wasser, zu viel Methan in der Luft: strengere Klimagesetze verabschiedet
Diese Expansion auf dem Milchviehmarkt rächt sich nun: Das EU-Land droht seine Verpflichtungen zum Klima- und Umweltschutz nicht zu erfüllen. Denn Irlands Rinder produzieren viel Methan und weit mehr Gülle als die Nitrat-Richtlinie der EU erlaubt. Außerdem ist der irische Stickstoffeintrag durch Kunstdünger zu hoch.
Inzwischen macht Dublin Druck in Sachen Energie- und Verkehrswende. Die rot-grüne Regierung sieht vor, dass bis 2030 25 Prozent weniger Treibhausgas-Emissionen im Agrarsektor entstehen sollen. Das Land möchte nämlich bis 2050 klimaneutral werden.
Überschwemmungen und Dürre – Agrarsektor leidet unter Klimakrise
Mehr Klimaschutz in der Viehwirtschaft fordert auch der Klimaforscher Peter Thorne von der irischen Maynooth University. Die Branche leidet schon heute unter dem Klimawandel, so Thorne. Bereits im Jahr 2018 verhungerten in Irland Schafe und Kühe auf den Weiden. Einer wochenlangen Dürre im Sommer war ein anderes Wetterextrem vorausgegangen: In einigen Tälern stand das Wasser im Frühjahr so hoch, dass nur noch die Weidezäune herausragten.
Radikaler Schritt: Viehbestände senken – Milchbauern protestieren
Um das 25 Prozent-Einsparziel zu erreichen, wurde in Teilen der Regierung zuletzt noch ein anderer, radikaler Schritt erwogen: Der Abbau des Viehbestands um 200.000 Rinder zum Wohle des Klimas.
Was viele vergessen: An solchen Zahlenspielen hängt die Existenz vieler Landwirte. So wie bei John McNamara. Zusammen mit seiner Frau Olivia bewirtschaftet er 115 Hektar Grünland. In ihrem Milchbetrieb werden 250 Kühe gemolken.
Für den Klimaexperten Peter Thorne ist dieser Plan, die Tierbestände zu reduzieren, bislang nicht viel mehr als eine erste Idee der Fachleute im Agrarministerium – ob und wie er konkret umgesetzt werden soll, sei noch völlig offen.
Klee fürs Klima: Kühe grasen im Dienst der Wissenschaft
Konkret hingegen ist die Forschung, die seit 1959 im agrarwissenschaftlichen Innovationszentrum Teagasc Moorepark im irischen Bezirk Cork betrieben wird. Hier, auf der institutsinternen Versuchsfarm, steht derzeit vor allem das Futter der Tiere im Fokus.
Aus der Perspektive der Wissenschaft geht es jetzt darum, Strategien der Anpassung an den Klimawandel zu entwickeln, betont der Institutsleiter Michael O'Donovan. Und der gibt sich zuversichtlich: Irlands Nitrat-Problem ist lösbar – zum Beispiel mithilfe von Kleegras.
Klee gehört zu den sogenannten Leguminosen. Diese binden den Stickstoff aus der Luft und können so den klimaschädlichen Kunstdünger ersetzen.
Forschung und Tierwohl: Irlands Weidehaltung als Viehwirtschaft der Zukunft?
Erkenntnisse aus der Forschung können dazu beitragen, dass Klimaschutz und Milchviehwirtschaft gemeinsam funktionieren. Hier können wir viel von Irland lernen. Denn Fakt ist: Irlands Vollweidesystem ist weniger klimaschädlich als die Massentierhaltung in Deutschland. Und ein Leben auf der Weide ist für die Tiere sehr viel artgerechter als im engen Stall.
Doch moderne Weidesysteme allein reichen nicht, betonen Klimaexperten wie Peter Thorne. Zusätzlich brauche es ein Umdenken der Menschen. Nur wenn der Konsum tierischer Produkte zurückgefahren wird, sei eine nachhaltige Viehwirtschaft überhaupt möglich.
SWR 2023