Der moderne Kapitalist ist kein fieser Mensch, sondern er kümmert sich um Soziales und die Umwelt. Sein Unternehmen ist divers aufgestellt, es gibt sich nachhaltig, bunt, international und setzt sich für Klimaschutz und Menschenrechte ein. Das ist der neue, sogenannte "woke" Kapitalismus. Verbirgt sich dahinter nur eine perfide Werbestrategie, in der es im Grunde um ein aufpoliertes Image geht? Oder handelt es sich um eine neue Stufe der kapitalistisch geprägten Gesellschaft? Antworten gibt der Philosoph und Publizist Dr. Alexander Grau.
Auszug aus dem Manuskript:
„Geprägt wurde der Ausdruck „Woke Capitalism“ im Jahr 2018 von Ross Douthat, einem Kolumnisten der New York Times. In seinem Artikel „The rise of woke capital“ – auf Deutsch: „Der Aufstieg des woken Kapitals“ – argumentierte Douthat, dass der woke Kapitalismus darauf basiert, dass er den wirtschaftlichen Wert durch einen symbolischen Wert ersetzt.
Anstelle teurerer wirtschaftlicher Zugeständnisse wie höhere Löhnen und bessere Sozialleistungen böten die Unternehmen ihren Arbeitnehmern nun billige rhetorische Phrasen. Zudem hätte eine woke Unternehmenspolitik aus Sicht der Wirtschaft auch den Vorteil, die liberale politische Elite zu beschwichtigen, indem man sich deren Vorliebe für Identitätspolitik, Geschlechterpluralismus, Transgender-Rechte, laxe Einwanderungsstandards oder für die Eindämmung des Klimawandels zu eigen mache. Im Gegenzug würden diese Unternehmen von höheren Steuern, stärkeren Regulierungen und Kartellgesetzen verschont.
Zwar würde der woke Kapitalismus die traditionellen Verbündeten des Kapitals, die Konservativen, kurzzeitig verprellen, doch letztlich würde dieser unternehmensfreundlich bleiben. Für die großen Unternehmen ergäbe sich also eine gesellschaftspolitische Win-Win-Situation. Die traditionellen Konservativen würden mangels Alternativen zähneknirschend die Allianz mit den Unternehmen nicht kündigen. Zugleich aber würde man weite Teile der zuvor antikapitalistischen Linken zu Kooperationspartnern machen.“