Netzkultur

Den Algorithmus durchbrechen: Das audiovisuelle Kunstwerk „Kitbashing”

Stand
Autor/in
Giordana Marsilio
Giordana Marsilio

Die Algorithmen in den sozialen Medien sind darauf ausgelegt, die Nutzer in einem ständigen Zustand des Scrollens zu halten. Mit zunehmender Online-Zeit werden unsere Wünsche, Interessen und Emotionen in den Algorithmus integriert und für Konsumzwecke genutzt. Der Videokünstler Nicolò Cervello und der DJ und Sound Designer Abadir versuchen mit ihrem Projekt „Kitbashing” diesen Algorithmus zu durchbrechen.

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Collage aus Insta-Reels, vorgeschlagenen Beiträgen, Werbung und Musik

„Es ist nicht zu wenig Zeit, die wir haben, sondern es ist zu viel Zeit, die wir nicht nutzen“, schrieb der Philosoph Seneca in „Von der Kürze des Lebens“. Wie wir unsere Zeit auf Social Media verbringen und welches Verhältnis wir dazu haben, damit beschäftigt sich das audiovisuelle Projekt „Kitbashing” des italienischen Videokünstlers Nicolò Cervello und des in Berlin lebenden Musikproduzenten, DJ und Sound Designer Abadir.

Wir können sehen, dass Social Media für viele sehr wichtig für die tägliche Kommunikation und auch für die Selbstdarstellung als Künstler ist. Was mich irritiert, ist die Flut an Werbung und vorgeschlagenen Beiträgen und hier setzt unsere Idee an.

Die zwei Künstler haben Audioschnipsel aus Instagram-Reels, vorgeschlagenen Beiträgen und gesponserten Anzeigen herausgeschnitten und sie mit Musik als Collage zusammengefügt.

Das Algorithmus-Prinzip wird umgedreht

Soziale Medien wie Facebook, Instagram und TikTok speichern eine Unmenge von Daten ab. Es sind die Nutzerinnen und Nutzer selbst, die die Onlineplattformen mit ihren persönlichen Informationen füttern. Wie können wir dieses Prinzip umdrehen? Mit dieser Frage haben sich die Künstler auseinandergesetzt.

„Wir Wissen wie Social-Media funktionieren, sie bilden ein Kapital basiert auf den Daten der Nutzer, um all diese Inhalte in Form von Kundenprodukten zu verpacken. Daher haben wir den Algorithmus untergraben: Anstatt dass wir Social Media mit unseren Informationen beliefern, nutzen wir ihre Inhalte, um unser Kunstwerk mit ihren Daten zu füttern“, sagt Abadir.

„Kitbashing” als Versuch der Selbstreflexion

In der digitalen Welt verbringen die Nutzerinnen und Nutzer viel Zeit damit, Inhalte anzuschauen, zu scrollen, zu liken, zu kommentieren und zu teilen. Die Algorithmen der Plattformen sind darauf ausgerichtet, die Nutzer in einem Zustand ständigen Scrollens zu halten. Die Musik von Abadir will genau den Rhythmus des von unsichtbaren Algorithmen gelenkten Scrollens wiedergeben.

Der Videokünstler Nicolò Cervello sammelte Clips aus seinem Instagram-Feed und hat sie zu einem Video zusammengebaut, als visuelle Antwort auf die Musik. Mit ihrem Kunstwerk wollen sie ihr persönliches Verhältnis zu Social Media reflektieren, aber ohne ein Urteil darüber zu fällen, denn Soziale Medien seien mittlerweile Teil unseres Alltags, wie sie sagen.  

„Kitbashing” ist also ein Versuch, die Dynamik des Algorithmus zu unterlaufen und sich selbst zu reflektieren.

Was geht - was bleibt? Zeitgeist. Debatten. Kultur. Kreativität und KI: Ist Maschinenkunst auch Kunst?

Programme wie Dall-E oder Midjourney revolutionieren die Art und Weise wie Kunst hergestellt wird. Es braucht nur noch eine Eingabe, einen Prompt, der das gewünschte Bild präzise beschreibt und in Windeseile spuckt der Algorithmus passende Darstellungen aus.
Gerade hat Google ImaGen vorgestellt, das bewegte Bilder herstellt, Videos zu bauen ist also auch kein Problem mehr. Schon lange gibt es automatische Textgeneratoren wie GPT-3. Die Zukunft ganzer Berufszweige der Kreativbranche scheint bedroht zu sein.
Der Künstler Mario Klingemann arbeitet schon lange mit KI. Jetzt, wo jede*r mithilfe von Programmen wie Dall-E Kunst erzeugen kann, wird es für ihn als Künstler immer schwerer wirklich Neues zu schaffen: „Das reine Erzeugen hübscher Bilder ist mir zu einfach. Ich versuche herauszufinden, was Kunst ausmacht“, sagt er uns.
Die Literaturwissenschaftlerin Stephanie Catani von der Uni Würzburg forscht unter anderem zu Literatur und Kunst, die auf Algorithmen basiert. Sie ist der Meinung, dass eine KI erst mal noch nicht den großen Roman schreiben wird.
Einen ganzen fiktionalen Text zu schreiben, das könnten Maschinen noch nicht besonders gut. Was Catani hingegen mehr interessiere, ist die Frage: „Welches kreative Potenzial steckt in der Maschine als Tool für Künstler*innen der Gegenwart? Denn das eigentlich Kreative ist, mit diesem Programm so umzugehen, dass etwas entsteht, was weiterdenkt.“

Unsere Kollegen vom NDR haben in ihrem Podcast „Die Idee“ auch eine Folge zum Thema Künstliche Intelligenz gemacht! Norbert Grundei spricht darin mit dem KI-Experten Prof. Peter Kabel darüber, ob Künstliche Intelligenz die Bestseller von morgen schreibt oder die Charthits, die wir hören. Er sagt: Ja! Denn für bestimmte Texte ist heute schon KI verantwortlich. Hört doch mal rein bei „Die Idee“:
https://www.ardaudiothek.de/episode/die-idee-mit-norbert-grundei/36-was-kann-die-kuenstliche-intelligenz-prof-peter-kabel/n-joy/12007465/

Weblinks zum Thema:
Dall-E 2: https://openai.com/dall-e-2/
Midjourney: https://www.midjourney.com/home/
Google KI-Video Genarator: https://imagen.research.google/video/
Mario Klingemann: https://quasimondo.com/
KI-Podcast Steve Jobs im Joe Rogan-Interview: https://share.transistor.fm/s/22f16c7f
SWR Wissenschaftspodcast "Fakt ab": https://www.ardaudiothek.de/episode/fakt-ab-eine-woche-wissenschaft/sie-hat-jetzt-einen-anwalt-eine-google-ki-macht-ernst/swr2/10625093/
Was geht - was bleibt? Die Debatte um LaMDA: https://www.ardaudiothek.de/episode/was-geht-was-bleibt-zeitgeist-debatten-kultur/debatte-um-lamda-haben-algorithmen-gefuehle/swr2/10588035/

Habt ihr noch mehr Themen, die wir uns dringend anschauen sollten? Schreibt uns an kulturpodcast@swr.de

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