Der Reichstag vor Hitler: Parlamentsdebatten 1931 bis 1933
In seiner Rede über die Notverordnungen schlägt Heinrich Brüning (Zentrum) milde Töne an. Er dankt allen Fraktionen für die "Vornehmheit", die sie ihm bei aller Kritik entgegengebracht hätte – auch dem "Führer" (der dem Parlament gar nicht angehört). Die Einschränkung der Pressefreiheit bereite ihm "keine Freude".
Er wünschte den Tag herbei, wo es durch eine freiwillige gegenseitige Kontrolle der Presse untereinander möglich sein würde, auf solche Dinge zu verzichten.“ Ernst Torgler von der KPD nennt die NSDAP eine "Erfüllungspartei" und "die letzte Reserve des Kapitalismus".
Über die Notwendigkeit zur Einschränkung der Pressefreiheit
Zur Einschränkung der Pressefreiheit durch die Notverordnungen sagt Brüning:
"Es ist keine Freude, der Presse Zwangsauflagen machen zu müssen, und ich wünschte den Tag herbei, wo es durch eine freiwillige gegenseitige Kontrolle der Presse untereinander möglich sein würde, auf solche Dinge zu verzichten."
Er bietet dem Redner des letzten O-Ton-Mitschnitts Eduard Dingeldey von der Deutschen Volkspartei Zusammenarbeit an. Ein Regierungswechsel täte dem Reich gar nicht gut, so Brüning, weil das Ausland dann noch misstrauischer würde.
Brüning kommt ohne zusätzliche Anleihen aus
Der Reichskanzler entschuldigt sich dafür, dass er einen offenen Brief von "Herrn Adolf Hitler" noch nicht gelesen habe, zitiert aber eine Passage, in der ihm Hitler wirtschaftliches Versagen vorwirft, und kontert, er, Brüning, habe mit seiner Regierung erstmals Zahlungen an die Siegermächte ohne zusätzliche Anleihen vorgenommen. Die Kommunisten, die die Rede immer wieder unterbrechen, sprechen hier von "Lohnraub".
KPD nennt NSDAP "Erfüllungspartei"
Ernst Torgler von der KPD tritt ans Pult und nennt die NSDAP eine "Erfüllungspartei" und "die letzte Reserve des Kapitalismus". Wilhelm Sollmann (SPD) schließt sich dem an, indem er mutmaßt, wenn die Nationalsozialisten an die Macht kämen, würden sie "vor dem ausländischen Kapital kriechen".
NSDAP will an Parlamentssitzungen nur noch in Sonderfällen teilnehmen
Nicht in diesem Audio-Mitschnitt enthalten ist Wilhelm Fricks (NSDAP) für das Ende der Weimarer Republik bezeichnendes Statement, an parlamentarischen Sitzungen nur noch in Sonderfällen teilzunehmen. Am 10. Februar 1931, so Frick, habe seine Partei erklärt, man verlasse das Parlament und kehre erst dann zurück, wenn es darum gehe, "eine besonders tückische Maßnahme der volksfeindlichen Mehrheit des Reichstags zu vereiteln". Am 13. Oktober (also vor drei Tagen) sei man zurückgekehrt (im Protokoll ist die NSDAP erst am 14. Oktober wieder verzeichnet), um "der Regierung Brüning ein Ende zu bereiten. Dieser Versuch ist vorerst gescheitert. Wir verlassen daher entsprechend unserer Erklärung vom 10. Februar dieses Haus, um durch unser weiteres Wirken draußen im Volk die letzten Stützen dieses Systems zu beseitigen".
Die Redner:
Heinrich Brüning (Reichskanzler)
Ernst Torgler (KPD)
Wilhelm Sollmann (SPD)
5. Wahlperiode. 1931/32
12.6.1930 Paul Löbe wirbt für Parlamentsdebatten im Radio
12.6.1930 | Sollen Reichstagsdebatten im Rundfunk übertragen werden? Darüber gingen die Meinungen 1930 auseinander. Reichstagspräsident Paul Löbe (SPD) hat eine klare Haltung: Ja! | 100 Jahre Radio | archivradio.de
5.2.1931 Haushalt des Deutschen Reichs wird verhandelt
5.2.1931 | Reichskanzler Heinrich Brüning (Zentrum) spricht über die darniederliegende Landwirtschaft im Osten des Reichs. Er pocht darauf, die Reparaturleistungen an die Siegermächte des Ersten Weltkriegs zu begleichen. Joseph Goebbels (NSDAP) wirft dem Brüning-Kabinett Versagen vor.
6.2.1931 Tumulte und Streit um "Katholikenhetze"
6.2.1931 | Der Abgeordnete Josef Joos (Zentrum) greift den Domprediger Bruno Doehring (Deutschnationale Volkspartei) an, weil er gegen Katholiken hetze und der Zentrumspartei Linkslastigkeit vorwerfe. Nach Tumulten und dem Ausschluss mehrerer Abgeordneter durch Reichstagspräsident Paul Löbe (SPD) fährt Joos fort. Er fordert eine politische Kultur, die keine "Zerstörungsinstinkte" beim Mob auf der Straße wecke, sondern ihre Arbeit tue.
9.2.1931 Die NSDAP droht und verlässt das Parlament
9.2.1931 | Der Nationalsozialist Franz Stöhr erklärt den Vertretern des Zentrums: "Es kommt der Tag, und er kommt sehr bald, an dem Ihnen für Ihr schamloses Verhalten die Quittung ausgestellt werden wird, die Sie verdienen!" Die NSDAP-Abgeordneten stehen auf, rufen "Heil!" und verlassen, das Horst-Wessel-Lied singend, den Saal. Die kommunistische Fraktion fängt dann auch an zu skandieren, nämlich "Prolet erwache!"
10.2.1931 Reichsaußenminister Julius Curtius beklagt erdrückende Reparationsleistungen
10.2.1931 | Curtius berichtet von der Tagung des Völkerbunds in Genf. Deutschland sei dort "national", also selbstbewusst aufgetreten, auch wenn die Reparationsleistungen erdrückend seien.
5.3.1931 Reichsinnenminister Joseph Wirth bestreitet "Bürgerkrieg" und problematisiert die Rundfunkfreiheit
5.3.1931 | Das Parlament tagt ohne NSDAP weiter. Reichsinnenminister Joseph Wirth weist das „Gerede vom Bürgerkrieg“ zurück. Er spricht auch den Rundfunk an. Solle man ihn als politisches Instrument einsetzen? Wenn ja, würde er, Wirth, die Zensur am liebsten selbst in der Hand haben.
6.3.1931 Julius Moses (SPD) warnt vor wachsendem Elend in der Bevölkerung
6.3.1931 | Der SPD-Abgeordnete und Arzt Julius Moses beschwört die Abgeordneten, das Elend der Bevölkerung ernst zu nehmen. Er warnt vor "Verschmutzung und Verlausung".
13.10.1931 Regierungserklärung von Reichskanzler Brüning
13.10.1931 | Heinrich Brüning (Zentrum) spricht über die Not in Deutschland. Deutschland wolle ein solidarisches Mitglied im Bund der Nationen sein. Die Löhne der Arbeiter seien gesenkt worden, ohne dass es zu großen Streiks gekommen war. Doch durch die Krise des englischen Pfundes drohe die ganze Welt in Not und Armut zu versinken
14.10.1931 NSDAP schwadroniert über "Lebensraum"
14.10.1931 | Der NSDAP-Abgeordnete Wilhelm Frick fordert für das deutsche Volk "Lebensraum für seine bei einer artgemäßen Führung des Reiches sich von selbst ergebende wachsende Volkskraft". Mehrfach nutzt er das Wort der "Kriegsschuldlüge".
15.10.1931 DVP setzt sich für die Interessen der Beamten ein
Laut Eduard Dingeldey (DVP) sind den Beamten die einschneidenden Gehaltskürzungen nicht vermittelbar. Ursache der Belastung seien die Reparationszahlungen an die Siegermächte des Ersten Weltkriegs.
16.10.1931 Reichskanzler Brüning geht auf Adolf Hitler zu
16.10.1931 | In seiner Rede über die Notverordnungen schlägt Heinrich Brüning milde Töne an. Er dankt allen Fraktionen für die "Vornehmheit", die sie ihm bei aller Kritik entgegengebracht hätte – auch dem "Führer", der dem Parlament gar nicht angehört.
23.2.1932 Goebbels keift gegen Hindenburg
23.2.1932 | Die Neuwahl des Reichspräsidenten steht an. Joseph Goebbels (NSDAP) beschreibt Hindenburg als Witzfigur und nutzt die Aussprache für eine "Abrechnung" mit der Regierung. Goebbels wird des Saals verwiesen. Der Rest der Debatte ist von Tumulten geprägt. Kurt Schumacher spricht von einem hohen Grad der Verachtung und "Dummheit" der Nationalsozialisten.
24.2.1932 Eugen Bolz spricht im Reichstag
24.2.1932 | Eugen Bolz (1881 - 1945) saß ab 1920 für die Zentrumspartei im Berliner Reichstag. Dort spricht er 1932 über die aktuelle Krise. Anfangs hält Bolz die Machtübernahme Adolf Hitlers für ein notwendiges Übel in einer Krisensituation. Doch 1940 schließt er sich dem zivilen Widerstand um Carl Friedrich Goerdeler an. Am 23. Januar 1945 wird Eugen Bolz in Berlin-Plötzensee mit dem Fallbeil hingerichtet.
24.2.1932 Rudolf Breitscheid wettert gegen "Mein Kampf"
24.2.1932 | Im Zentrum der Debatte steht die Rede des SPD-Abgeordneten Rudolf Breitscheid. Er setzt sich mit Adolf Hitlers Buch "Mein Kampf" auseinander und zeichnet eine düstere Zukunft für die parlamentarische Demokratie. Der SPD-Mann kritisiert auch die KPD, weil sie ihren Hauptfeind in den Sozialdemokraten sähe statt in den Nationalsozialisten.