JetztMusik - Glossar

Elektronische Musik

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„In der musikalischen Produktion gibt es einen neuen Typus: halb Ingenieur und halb Komponist.“ Als Aaron Copland 1968 diese für ihn bedenkliche Tendenz beschrieb, hatte die musikalische Verwendung von Elektronik bereits eine Geschichte. Zuerst
gab es einzelne elektrische Musikinstrumente wie Leon Theremins Termenvox (1921), das mit durch Handbewegungen regulierbaren Schwingungskreisen arbeitet, oder das Ondes Martenot (1928) von Maurice Martenot, das Schwebungssummer und
Regulierungskondensator durch Fingerbewegungen auf einem Metallband anregt, sowie das an der Rundfunktechnik orientierte Trautonium (1930), entwickelt von Friedrich Trautwein.

Nach dem Zweiten Weltkrieg beschäftigte sich die elektronische Musik im engeren Sinne (im Gegensatz zur Musique concrète) mit der Musikalisierung von auf rein elektronischem Weg erzeugten Klängen. Angeregt von Forschungen Werner Meyer-Epplers waren Herbert Eimert und Robert Beyer die Pioniere im 1951 gegründeten Studio für elektronische Musik des damaligen NWDR Köln, in dem bald Karlheinz Stockhausen und Gottfried Michael Koenig arbeiteten. 1953 entstanden dort Stockhausens elektronische Studien 1 und 2. Überhaupt sollten die Gründung und der Betrieb von elektronischen Studios die weitere Entwicklung der elektronischen Musik über Jahrzehnte bestimmen. In Mailand leitete Luciano Berio das 1955 gegründete Studio di Fonologia Musicale des italienischen Rundfunks RAI. Komplexe Tonbandstücke wie Berios Thema (Omaggio a Joyce) oder Fonatana Mix von John Cage (beide 1958) und Luigi Nonos Omaggio a Emilio Vedova (1960) wurden dort produziert. In München existierte zwischen 1957 und 1966 das Siemens-Studio für elektronische Musik unter der Leitung von Josef Anton Riedl, der u. a.
mit Hilfe einer eigens entwickelten automatischen Lochstreifensteuerung der Klänge zahlreiche Stücke realisierte. Weitere wichtige Studiogründungen gab es in Warschau, Genf, Stockholm und Utrecht. Am Studio der Stanford University forschte John Chowning an Grundlagen der elektronischen und der Computermusik. Seit 1971 arbeitet in Freiburg das Experimentalstudio der Heinrich-Strobel-Stiftung des SWF bzw. SWR, heute: Experimentalstudio für akustische Kunst, hauptsächlich für Musik mit Live-Elektronik (Studioleiter: Hans-Peter Haller, André Richard, Detlef Heusinger). In den 1970er Jahren wurde in Paris als größtes Institut seiner Art das IRCAM gegründet, bis 2005 geleitet von Pierre Boulez, seither von Frank Madlener. Weltweit gibt es zahlreiche weitere Studios für elektronische Musik, u. a. in Amsterdam, Barcelona, Berlin, Dublin, Karlsruhe, Tokio. Eine große Studiogründung jüngster Zeit ist das Experimental Media and Performing Arts Center am Rensselaer Polytechnic Institute, Troy, New York (Direktor: Johannes Goebel).

In den Studios für elektronische Musik gehen neue Musikproduktionen und die Entwicklung der dazu nötigen Geräte oder Programme bis heute notwendig Hand in Hand. Klangregisseure und Komponisten, so sie nicht in einer Person vereint sind, arbeiten zusammen. Längst gilt die Arbeit an „elektronischer Musik“ dabei nicht mehr nur synthetischen Klängen, sondern Produktionen mit allen möglichen Klängen, Mitteln und Medien, die (auch) elektroakustische Anteile haben. Dank handlicherer Hard- und Software wird elektronische Musik inzwischen vielfach auch jenseits der großen Studios, am Laptop des Komponisten realisiert.

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SWR