„Wenn Sie mir nachweisen können, dass ich mich ein einziges Mal in meinem Leben ein Avantgardist genannt habe, bezahle ich Ihnen morgen einen Jaguar.“ (Konrad Boehmer) Vielleicht ist es kein Zufall, dass bestimmte Kunstbewegungen des 20. Jahrhunderts sich mit einem Begriff schmückten, der aus militärischen Zusammenhängen stammt: „Avantgarde“ bezeichnet
die Vorhut, nämlich den Teil der Truppe, der vorrückt und zuerst mit den feindlichen Truppen in Berührung kommt. Der „Feind“, den es nicht nur zu berühren, sondern auch empfindlich zu treffen galt, war für die künstlerische Avantgarde das etablierte Bürgertum, der eingefahrene Kunstbetrieb oder auch eine zu Tradition und Konvention gewordene Ästhetik.
Dem entgegen stand der unerschütterliche Glaube an den Fortschritt: Er wurde zur ideologischen Grundlage. Spartenübergreifende Avantgarde-Bewegungen des frühen 20. Jahrhunderts waren u. a. Futurismus und Dada. Nach 1945 verstand man die jeweils neusten Strömungen der Neuen Musik als Avantgarde: Avantgarde wurde und wird teilweise auch synonym für Neue Musik verwendet. Weniger die Friedensbewegung als vielmehr postmoderne Tendenzen zum Pluralismus und Zweifel an der Idee des Fortschritts brachten den Begriff der Avantgarde in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts in Verruf. Kaum jemand würde wohl heute noch für sich in Anspruch nehmen, als Künstler(gruppe) die alleinige Speerspitze der musikalischen Entwicklung zu sein.