Musik

Zum 30. Todestag des französischen Komponisten Olivier Messiaen

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Autor/in
Martina Seeber

Der französische Komponist Olivier Messiaen war eine Ausnahmeerscheinung der Musik: Indische Rhythmen, Viertelton-Musik, Gregorianik und Vogel-Gesang waren nur einige seiner Inspirationsquellen. 60 Jahre lang wirkte er als Organist an der Pariser Kirche La Trinité und prägte eine ganze Komponisten-Generation. Sein Werk atmet eine tiefe Religiosität. Am 27. April 2022 jährt sich sein Todestag zum 30. Mal.

Die frühen Jahre und „Jeune France“

1908 in Avignon als Sohn eines Englischprofessors und einer Lyrikerin geboren, studiert er in der französischen Hauptstadt und findet früh Anerkennung. Schon bald nach dem Konservatorium werden seine Werke aufgeführt.

Mit Kollegen gründet der komponierende Kirchenmusiker außerdem die Gruppe „Jeune France“, die sich einer menschlichen und nicht bloß abstrakten Musik verschreibt. Als jedoch der Zweite Weltkrieg ausbricht, wird der junge Künstler in die Armee eingezogen und gerät in deutsche Gefangenschaft.

Ein Quartett im Gefangenen-Lager

Von Juni 1940 bis März 1941 ist er im Stammlager VIII A bei Görlitz interniert. Hier komponiert er unter widrigsten Bedingungen eines seiner berühmtesten Werke, das „Quatuor pour la fin du temps“.

Seine ungewöhnliche Besetzung verdankt das Quartett dem Umstand, dass sich unter seinen Mitgefangenen ein Klarinettist, ein Geiger und ein Cellist befinden. Zusammen mit Olivier Messiaen an einem verstimmten Klavier mit klemmenden Tasten spielen sie am 15. Januar 1941 in der Theaterbaracke des Lagers die Uraufführung.

Die Kraft der Musik mit choralartigen Melodien, leuchtenden Harmonien, apokalyptischen Rufen, Hindu-Rhythmen und sehnsuchtsvollen Vogelgesängen beeindruckt das Publikum, das vor allem aus Mitgefangenen besteht, zutiefst. „Niemals“, erinnert sich der Komponist, „hat man mir mit mehr Aufmerksamkeit und Verständnis zugehört.“

Lehrer einer Komponisten-Generation

Zurück in Frankreich wird Messiaen als Dozent an das Pariser Konservatorium berufen, wo er eine Generation berühmter Komponisten unterrichtet. Zu seinen Schülern gehören Pierre Boulez, Iannis Xenakis, Mikis Theodorakis und Karlheinz Stockhausen.

Während ihn die jüngere Nachkriegsavantgarde schon bald als Gründervater des Serialismus feiert, verfolgt der Franzose jedoch weiter seinen ganz eigenen Weg. Dabei leitet ihn eine überbordende, synästhetische Phantasie, die ihn von farbigen Klängen träumen lässt, diesem „Wirbel von Tönen und Farben in einem Wirrwarr von Regenbögen“.

Synästhetik, Elektronik, Gamelan und Vogelgezwitscher

Olivier Messiaen schreibt seine Farbvisionen dem Orchester ein, komponiert für die elektronischen Ondes Martenot und forscht auf dem Gebiet der Rhythmik. Wie lange mag er außerdem zu früher Morgenstunde im Gras sitzen, um dem Gesang der Vögel zu lauschen? Rund 700 Vogelstimmen kann der Hobby-Ornithologe unterscheiden, was in vielen seiner Werke nachklingt:

Vom Endzeitquartett über den „Catalogue d’Oiseaux“ für Klavier bis hin zu seiner 1983 uraufgeführten Oper über den Heiligen Franz von Assisi. Der Gesang der Schöpfung bietet ihm in einer sich beschleunigenden Welt den rettenden Halt.

„Angesichts so vieler entgegengesetzter Schulen, überlebter Stile und sich widersprechender Schreibweisen gibt es keine humane Musik, die dem Verzweifelten Vertrauen einflößen könnte. Da greifen die Stimmen der unendlichen Natur ein.“

Musikstunde Musik für das Ende der Zeit – Olivier Messiaen (1–4)

Der unverrückbare katholische Glaube prägte Olivier Messiaen ein Leben lang. Sein erstes Hauptwerk, das Quartett auf das Ende der Zeit, komponierte er im Zweiten Weltkrieg als Häftling in einem deutschen Internierungslager. Als er am 27. April 1992 in Paris starb, verlor die Musikwelt eine fast mittelalterliche Figur, die Musik als Synthese aus Handwerk und Spiritualität verstand.
Eine Sendung von und mit Michael Struck-Schloen

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Martina Seeber