Weihnachtslieder

Tochter Zion

Stand
Autor/in
Dorothea Bossert
Künstler/in
Klaus Mertens (Bassbariton)
Kay Johannsen (Orgel)

Dieses Lied wird in England als patriotischer Marsch beim Abschlusskonzert der Londoner "Proms" im September mitgepfiffen. Wie konnte aus diesem patriotischen Marsch aus England ein deutsches Weihnachtslied werden?r

In England ein patriotischer Marsch

Henry Wood, der Gründer der Londoner Promenade Concerts, hat den Marsch in seine "Fantasia on British Sea Songs" eingebaut, eine Suite englischer Seemannslieder, die alljährlich zum Abschluss der "Last night of the Proms" zelebriert und gefeiert wird und zum nationalen Kulturgut gehört.

In Wahrheit stammt dieses Lied natürlich nicht von Henry Wood, sondern von Georg Friedrich Händel, der aus englischer Sicht ungeachtet seiner deutschen Herkunft selbstverständlich auch zum nationalen Kulturgut gehört. 1747 hat er es für den dritten Akt seines Oratoriums "Joshua" komponiert. "See, the conquering Hero comes, sound the trumpet, beat the drums", lautet der Text im Original: "Seht, der heldenhafte Eroberer kommt, lasst die Trompeten schallen und schlagt die Trommeln!"

Der Clou dieses Chores ist, dass die Sänger den Part der Trompeten und Pauken übernehmen, von denen hier die Rede ist - wohingegen im Orchester nur zwei Hörner und eine Orgel zu hören sind.

Ein großer Wurf für Georg Friedrich Händel

Ganz sicher: Händel war klar, was für ein Wurf ihm mit diesem Chor gelungen war. Und so baute er ihn einige Jahre später in ein anderes Oratorium ein, in seinen beliebten Judas Maccabäus, wo dieser Triumphchor dann seine eigentliche Heimat fand. Und dieses Oratorium ist auch der Grund dafür, warum diese Musik in England patriotische Gefühle weckt.

Die Anfänge von "Judas Maccabäus" gehen nämlich auf die Zeit des zweiten Jakobitenaufstandes 1745 in England zurück. Charles Edward Stuart, ein im Exil lebender Stuartsohn, hatte damals versucht, den schottischen und englischen Thron für die Stuarts zurückzuerobern. Die Sache ging für die englischen Herrscher gut aus. Der Herzog von Cumberland schlug mit seinen Truppen den Eindringling in die Flucht. Und als die siegreichen Kämpfer zurück kamen, komponierte Händel, ganz englischer Patriot, eine Huldigung an den Kriegsherren.

"Judas Maccabäus" - ein geistliches Oratorium über Schlachten und Siege

Diese Huldigung war "Judas Maccabäus", ein geistliches Oratorium, in dem es um nicht weniger und nicht mehr als um Schlachten und Siege geht: weil es aber Schlachten des Volkes Israel waren, das Judas Maccabäus gegen Samarien, Syrien und Ägypten zum Sieg führte, ging der Stoff in das Alte Testament ein – und Händel konnte ein geistliches Oratorium über ein sehr weltliches Thema schreiben.

Aus englischer Sicht ist Judas Maccabäus also ganz klar ein patriotisches Oratorium und der Triumphchor "See, the conquering Hero comes" der Inbegriff einer patriotischen Hymne. Keine Eisenbahnlinie, kein Bahnhof wurde im England des 19. Jahrhunderts eröffnet, bei dem dieser Marsch nicht dabei war – und bis heute gehört er zum eisernen musikalischen Repertoire bei patriotischen Anlässen.

Aus dem Herzog von Cumberland wird der König Israels

Dass aus diesem englischen Nationalbesitz dann ein deutsches Weihnachtslied wurde, das verdanken wir einem deutschen Philosophen und Theologen namens Friedrich Heinrich Ranke. Der junge Mann verkehrte gerne als Gast in dem musikalischen Salon der Familie Raumer in Erlangen, die sich wie er für den Pietismus und die protestantische Erweckungsbewegung engagierte.

Für diese bildungsbürgerlichen Abendgesellschaften dichtete Ranke Händels Triumphmarsch um und machte aus dem siegreichen Kriegshelden Judas Maccabäus alias Herzog von Cumberland kurzerhand den König Israels, der hier von seinem Volk mit Pauken und Trompeten willkommen geheißen und bejubelt wird. Melodie und Satz blieben dabei weitgehend unangetastet. Rankes Nachdichtung erschien dann wenig später in einer "Sammlung christlicher, lieblicher Lieder". Von da aus kam "Tochter Zion" in die Schulbücher und wurde populär.

Stand
Autor/in
Dorothea Bossert
Künstler/in
Klaus Mertens (Bassbariton)
Kay Johannsen (Orgel)