Sacred Sound

Der Klang von 830 n. Chr.: Offizium aus St. Gallen im virtuellen Gozbert–Münster

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Wie klingt Musik um 1052, wie klingen Kirchen von 830, die es nicht mehr gibt? Mit dem Projekt „Sacred Sound – Sacred Space“ der Universität Tübingen, RWTH Aachen, St. Galler Choral Stiftung und SWR2 sind Musikwissenschaftler und Akustiker dem auf der Spur. Die Frage lautet: wie hängen Architektur und Komposition zusammen? 

Wiederentdeckung nach einem Jahrtausend

Neuentdeckungen in der mittelalterlichen Musiklandschaft am Bodensee: vom Inselkloster Reichenau führt das Ensemble Ordo Virtutum ein von Stefan Morent neu entdecktes Offizium zu süddeutschen Heiligen von Hermann dem Lahmen auf, erstmals nach 1000 Jahren.

Offizien aus St. Gallen werden in eine unbekannte Akustik versetzt: in das Gozbert-Münster von 830. Archäologische Forschung, Visualisierung und die Auralisation einer historischen, verlorenen Kirche machen das möglich: das Ensemble singt in einer „virtuellen“ Akustik.

3D-Modelle der Gozbert-Kirche
Wie mag die Gozbert-Kirche ausgesehen haben? Computer-Modelle geben einen visuellen Eindruck, durch akustische Modelle wird der Klang vermittelt.

Wiederauferstehung alter Akustik

Der Choral von St. Gallen ist um 900 entstanden und für das Münster des Abtes Gozbert von 830 bestimmt. Heute ist es möglich, eine solche verloren gegangene Kirche virtuell wieder auferstehen zu lassen.

Archäologische Forschung, Visualisierung und Auralisation – die computergestützte Herstellung einer virtuellen Akustik – machen das möglich.

Musik der Karolingerzeit im 21. Jahrhundert

Der Gozbert-Bau liegt mit Grundmauern und Kapitellen unter der heutigen Stiftskirche St. Gallen. Der Archäologe Guido Faccani und der Spezialist für digitales Gestalten Marc Grellert von der Technischen Universität Darmstadt konnten ein visuelles Modell dieser Kirche herstellen.

3D-Modelle der Gozbert-Kirche
Das 3D-Modell gibt einen Eindruck vom Grundriss der Gozbert-Kirche.

Akustiker Lukas Aspök hat an der Technischen Hochschule Aachen hieraus ein akustisches Modell gemacht. Im September konnte das Ensemble Ordo Virtutum für eine CD-Produktion in dieser virtuellen Akustik aufnehmen: Musik aus der Karolinger Zeit in einem Bau der Karolingerzeit! Das Experiment ist ein Novum, obgleich es weltweit Versuche mit virtueller Akustik gibt.

3D-Modelle der Gozbert-Kirche
Der Lettner erstreckte sich früher vor dem Altar. Heute ist davon nichts mehr zu erahnen.

Ein weiteres Experiment in diesem Projekt waren Aufnahmen des Chorals aus St. Gallen in der Holzkirche auf dem Campus Galli bei Meßkirch, wo der berühmte St. Galler Klosterplan mit mittelalterlichen Techniken wieder aufgebaut wird. In der Holzkirche erklang der Choral, bis die große Steinkirche nach 40 Jahren Bauzeit fertiggestellt war.

Holzkirche auf dem Campus Galli
Die Holzkirche auf dem Campus Galli.

Hermann der Lahme: Ein „Stephen Hawking“ des 11. Jahrhunderts

Zusätzlich präsentiert Ordo Virtutum neu entdeckte Musik von Hermann dem Lahmen von der Reichenau, gest. 1054. Obgleich spastisch gelähmt, war er Wissenschaftler, Komponist, Schriftsteller und forschte zu Astronomie und Geschichte.

Vermutliche Abbildung von Hermannus in einer Handschrift aus dem 13. Jhdt.
Vermutliche Abbildung von Hermannus (vermutlich rechts) in einer Handschrift aus dem 13. Jhdt.

Er ersann wunderschöne Melodien, eine Art „Stephen Hawking“ des 11. Jahrhunderts. Seine bisher verschollene Handschrift mit einem Offizium zu den süddeutschen Heiligen Gordianus und Epimachus ist jetzt erst wiederentdeckt worden und und im Münster St. Maria und Markus in Mittelzell auf der Insel Reichenau erstmals wieder aufgeführt und aufgenommen worden: liturgische Gesänge von sublimer Schönheit. Die Kirche ist mit der Gozbertkirche architektonisch verwandt.

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Autor/in
SWR