Anna-Maria Hefele beim Eclat Festival

Stimme als Doppelinstrument: Der überirdische Klang des Obertongesangs

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Autor/in
Dominic Konrad
Dominic Konrad, Autor und Redakteur bei SWR Kultur und SWR Musik

Es klingt nach Flöte, Glasharfe oder Didgeridoo: Obertongesang nennt man es, wenn ein Sänger oder eine Sängerin über dem eigentlichen Gesang hinaus mit seiner Stimme einen zweiten Klang erzeugt. Doch was wir da hören, ist eigentlich nur eine Illusion. Anna-Maria Hefele ist eine Meisterin des Obertongesangs. Am 3. Februar tritt sie mit dem SWR Vokalensemble beim Eclat Festival in Stuttgart auf.

Obertongesang kann jeder lernen

Zweistimmig singen mit nur einer Stimme – klingt komisch, ist aber doch möglich. Und mit etwas Übung kann es im Prinzip auch jeder lernen, sagt eine, die es wissen muss: Anna-Maria Hefele ist Obertonsängerin. Im Internet schauen sich Millionen von Menschen ihre Videos an, in denen sie die Technik hinter dem Obertongesang erklärt.

Nun ist die Stimmkünstlerin beim diesjährigen Eclat Festival gemeinsam mit dem SWR Vokalensemble zu erleben. Am 3. Februar 2024 singt sie in der Welturaufführung von „Nun Nacht“ – einer durch den SWR beauftragten Komposition von Mia Schmidt für Obertonsängerin, Viertelton-Cembalo, Marimba und Chor. Mit dem Vokalensemble probte die Sängerin im Vorfeld der Aufführung auch das Obertonsingen.

Anna-Maria Hefele im Porträt

In Westeuropa macht die Avantgarde den Oberton salonfähig

Obertongesang wird in den verschiedensten Kulturräumen der Welt praktiziert, besonders in den Ländern Zentralasiens rund um das Altaigebirge. Der traditionelle mongolischen Khoomei-Kehlkopfgesang wird etwa seit 2009 in der UNESCO-Liste des immateriellen Kulturerbes geführt. Aber auch in Südafrika und in Europa gibt es Oberton-Traditionen, etwa im sardischen „Cantu a tenore“ oder im samischen Joiken.

In die klassische Musik hielt der Oberton erst mit den Avantgardisten um Karlheinz Stockhausen und La Monte Young Einzug. Stockhausen setzte den Obertongesang etwa in seiner Komposition „Stimmung“ (1968) für sechs Stimmen ein.

Theatre of Voices unter Leitung von Paul Hillier interpretieren Stockhausens „Stimmung“

Wie der Oberton klingt, bestimmt das Gehirn

Am einfachsten lässt sich der Oberton beim Singen von Vokalen erzeugen, indem man die Stimme von einem „U“ zu einem „Ü“ oder „I“ gleiten lässt. Professionelle Obertonsängerinnen und -sänger schaffen hingegen durch die Stellung von Zunge und Kiefer und mit Hilfe von Lippen- und Kehlkopfbewegungen einen zusätzlichen Resonanzraum im Mund, durch den ein klarerer und deutlich vernehmbarer Oberton erzeugt werden kann.

Wie dieser Ton allerdings genau klingt, ist für jeden Menschen unterschiedlich, denn die Klangfarbe des Obertons ist tatsächlich eine akustische Illusion. Das Gehirn kann den isolierten Oberton nur schwer verarbeiten und assoziiert den akustischen Reiz mit vertrauten Geräuschen, die im Bewusstsein dann mit einer klirrenden Glasharfe, einem kristallklaren Flötenton oder einem eher brummenden Didgeridoo verbunden werden.  

Über 22 Millionen Klicks auf YouTube: Anna-Maria Hefele erklärt das Singen mit Oberton

polyphonic overtone singing - by Anna-Maria Hefele

Dem Menschen urvertraute Gesangstechnik

Obertonsängerin Anna-Maria Hefele begeistert die klangliche Vielseitigkeit, die der Mensch erzeugen kann: „Die Ausdruckskraft der menschlichen Stimme ist schon für mich das faszinierendste“, so die Stimmkünstlerin – egal ob das nun über den Obertongesang, den klassischen oder Pop-Gesang, übers Jodeln oder das Beatboxing geschieht.

Das Neuartige des Obertongesangs fußt auf Techniken, die den Menschen urvertraut sind, da ist sich Anna-Maria Hefele sicher. In Stuttgart können die Besucher*innen des Eclat Festivals die Magie ihrer Stimmkunst nun erleben.

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