Ein Konzert für die Heilige Nacht? Ein nächtliches Idyll? Keineswegs! Antonio Vivaldis Konzert „La Notte“ zeigt die dunkle Seite der Nacht: Eine Geisterstunde in einem verwunschenen Palazzo in Venedig. Denn zu Vivaldis Zeiten war Venedig noch geheimnisvoller als heute.
„Tod in Venedig“
Der Reiz Venedigs liegt nicht zuletzt in seiner Morbidität: Verfallene Paläste, wabernder Nebel in dunklen Gassen, eine Friedhofsinsel (auf der auch Strawinsky begraben ist) und Geheimgänge im Dogenpalast, in denen Intrigen geschmiedet wurden (und die Casanova zur Flucht verhalfen).
In Venedig trifft man auf Vergänglichkeit und Geheimnisvolles – idealer Schauplatz für Filme wie „Wenn die Gondeln Trauer tragen“ oder „Tod in Venedig“. Und an solch einem geheimnisumwobenen Ort befinden wir uns auch in Vivaldis Konzert „La Notte“.
„Fantasmi“. Gespenster.
Vivaldi, ein Meister der Programmmusik, erzählt auch in „La Notte“ eine Geschichte, eine Spukgeschichte, sie spielt in einem Palazzo am Canal Grande. Das Grauen kommt auf leisen Sohlen:
Fahles Unisono, leise, punktierte Rhythmen - die Geister rüsten sich. Der Held tritt aus dem im Nebel liegenden Palazzo und die Gespenster fallen über ihn her („Fantasmi“). Gerippe klappern. Flucht, kurzes Verschnaufen – dann fällt der Held in tiefen Schlaf („il sonno“). Alpträume plagen ihn. Die Gespenster kehren wieder in immer neuen (Allegro-)Wellen. Ende offen.
Ein Held im Flötenkostüm
Dieses aufwühlende Konzert „La Notte“ existiert in drei verschiedenen Fassungen. In der frühesten Fassung setzt Vivaldi eine Flöte ein, die die Rolle des Helden übernimmt, Geigen flankieren, ebenso ein Fagott. Vivaldi hat das Konzert vermutlich für die vorzüglichen Bläser der Hofkapelle in Mantua geschrieben, wo er Kapellmeister war.
Dann gibt es eine Version für drei Geigen, Cello und Cembalo und die gängigste Fassung ist die als Flötenkonzert mit Streichorchester. Vivaldi dachte an eine Querflöte. Isabel Lehmann spielt die heutzutage favorisierte Fassung für Blockflöte.
Isabel Lehmann
Blockflöte, Querflöte, Klavier oder Geige? Isabel Lehmann konnte sich lange nicht entscheiden, welchem Instrument sie den Vorrang geben soll. Die „größte Liebe“ aber, sagt sie, war die Blockflöte. Sie wird Jungstudentin an der Freiburger Musikhochschule, studiert nach dem Diplom in den Niederlanden, inspiriert vom Spiel des Flötisten Frans Brüggen.
Sie ist festes Mitglied des Freiburger Barockorchesters und unterrichtet an der Freiburger Musikhochschule.
Album-Tipp Hochvirtuose Barockmusik: „Il Mondo Al Rovescio“ von Vivaldi
2006 gründete die Geigerin Amandine Beyer ihre eigene Truppe für Alte Musik: Gli incogniti, übersetzt: Die Unbekannten – was sich vor allem auf die Literatur bezieht, die das Ensemble spielt. Oder vielleicht auch auf die Art und Weise, wie den musikalischen Werken begegnet wird? Diese Vermutung kam SWR2-Kritikerin Susanne Benda beim Hören der neuen CD von Gli Incogniti.