Musikstück der Woche

Stéphane Denève dirigiert Maurice Ravel: Valses nobles et sentimentales

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Autor/in
Felix Werthschulte

Mit den acht „Valses nobles et sentimentales“ beschwor Maurice Ravel glänzende Zeiten herauf: In dem 1911/1912 entstandenen Werk geht es um die Kunst des schwelgenden Wiener Walzers, die Ravel gewissermaßen durch eine französisch-spätromantische Brille betrachtet.

Der Mitschnitt unseres SWR2 Musikstücks der Woche entstand 2014 mit dem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR unter Stéphane Denève 2014 in der Liederhalle Stuttgart.

Durchsichtige Walzergestalten

Zeitlebens hatte Maurice Ravel eine starke Affinität zur Sphäre des Tanzes. Dieser Umstand ergab sich vor allem durch seine intensive Zusammenarbeit mit berühmten Ballettkompagnien seiner Epoche, etwa den spektakulären Ballets Russes des Impresarios Sergej Diaghilew oder später der Truppe der befreundeten Tänzerin und Choreografin Ida Rubinstein.

Für sie schuf er immerhin seinen bis heute weltberühmten Boléro. Auch das Meisterwerk La Valse, uraufgeführt im Dezember 1920 in Paris, beweist Ravels gewitzte Reflexion des Walzers und seiner Geschichte.

Verwechslungsgefahr

Nicht zu verwechseln mit dieser „Apotheose des Wiener Walzers“, wie Ravel einmal selbst über La Valse sagte, sind seine acht Valses nobles et sentimentales. Sie entstanden etwas früher, bereits im Jahr 1911. Die erste Version war eine Klavierfassung, die Ravel dann zügig im Jahr darauf orchestrierte, um eine Ballettsuite mit dem später verworfenen Titel „Adélaide ou le langage des fleurs“ zu schaffen.

Aus dem letztlich etablierten Titel Valses nobles et sentimentales geht hervor, dass sich Ravel mit dem Werk eindeutig auf ein Vorbild bezieht: Franz Schubert hatte in den 1820er-Jahren eine Reihe von Walzern komponiert, die unter den Titeln Valses nobles und Valses sentimentales erschienen. Ravel bezog sich auf Schubert insbesondere dadurch, dass er dessen Formensprache und die Art der geschickten, nicht selten überraschenden Art der Harmonisierung übernahm. Ansonsten haben die Walzer der beiden Komponisten aber nur marginal etwas miteinander zu tun.

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Schwung und Farbigkeit

Was an dem Werk beeindruckt, ist seine Mischung aus Schwung und Farbigkeit. Schon der Einstieg, ein Walzer im moderaten Tempo, macht das deutlich. Wenn je ein rauschender Walzer wie ein Marsch geklungen hat, dann dieser. Doch nicht nur Kastagnetten und Trommeln lässt Ravel erklingen, auch die Farbigkeit der Holzbläser und Hörner, die schwelgende Wehmut von groß angelegten Streicherkantilenen und die wie schnell verklingenden Akzente der Harfe kommen in großer, spätromantischer Besetzung zur Geltung. In der einfallsreichen Orchestrierung sticht insbesondere die Klarinette immer wieder mit lyrischen Solopassagen hervor.

Die bisherige Geschichte des Walzers lässt der Komponist so geschickt Revue passieren, dass sie spür- aber doch nicht greifbar sind. Mal scheint Tschaikowsky durch die Partitur zu blinzeln, dann ist es Webers „Aufforderung zum Tanze“ – oder doch ein Stück von Chopin oder Debussy? Das ist ganz bewusst nicht immer klar zu entscheiden.

Darf man bitten?

Klar wird aber: So richtig gut und anhaltend schwofen lässt es sich zu den Walzern von Ravel nicht, mögen sie auch alle acht ohne Pause ineinander übergehen. Dennoch geschah die erste Aufführung mit Tänzern, nämlich im Rahmen einer Ballettaufführung im April 1912 in Paris. Der Komponist schwang dabei selbst den Taktstock – hatte er vielleicht Sorge, ein anderer Dirigent hätte Probleme mit den vielen rhythmischen Unsicherheiten, Rubati und sonstigen Raffinessen gehabt?

Mitte Februar 1914 erklangen die Valses nobles et sentimentales dann zum ersten Mal im Konzertsaal, in einer Aufführung mit dem Orchestre de Paris in der französischen Hauptstadt. Dirigent war Pierre Monteux, der kaum ein Jahr zuvor den höllisch anspruchsvollen Le Sacre du Printemps von Igor Strawinsky skandalträchtig uraufgeführt hatte. Und während die Details zur Ballettfassung von Ravels Valses die Zeiten nicht überdauert haben, ist die konzertante Fassung der acht Walzergestalten bis heute immer wieder in den Konzertsälen präsent.

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Felix Werthschulte