„Glücksspirale“ nennen Hornist*innen ihr Instrument gelegentlich. Besonders auf dem Naturhorn ohne Ventile braucht es entweder Glück oder sehr viel Übung, um den richtigen Ton aus dem Schalltrichter hervorzuzaubern. Auf letztere können sich Bart Aerbeydt und Gijs Laceulle vom Freiburger Barockorchester verlassen. Im Musikstück der Woche spielen sie den kniffligen Hornpart mit Musikalität und sensationeller „Trefferquote“...
Ein heimliches Doppelkonzert für zwei Hörner und Streicher verbirgt sich hinter Beethovens Sextett op. 81b. Der Hornpart hat es in sich: Hohe Lage, schnelle Noten und heikle Töne müssen die Musiker bewältigen. Wer genau hinhört, entdeckt gleich im ersten Satz, dass in den Hörnern nicht alle Töne dieselbe weiche Klangfarbe haben – manche klingen dumpfer, andere greller.
Mit Socken hat das nichts zu tun
Geschuldet ist das dem „Stopfen“. Eine Musikergeneration vor Beethoven hat der Dresdner Hornist Anton Joseph Hampel diese besondere Spieltechnik entscheidend weiterentwickelt. Durch das Abdämpfen mit der Hand im Schalltrichter seines Instruments konnte Hampel plötzlich Töne spielen, die nicht in der sogenannten Naturtonreihe enthalten waren; die wenigen Naturtöne waren bis dahin der karge Tonvorrat, der Hornisten zur Verfügung stand. Zwar unterscheiden sich die gestopften Töne in ihrer Klangqualität – sie klingen etwas dumpfer –, aber musikalisch eröffneten sich ungeahnte Möglichkeiten.
Die wiederum machte sich Beethoven zunutze, als er mit Anfang 20 sein Sextett komponierte – den höfischen Bonner Musikgeschmack und die Virtuosität der örtlichen Musiker im Ohr. Während die Bläserpartie in ähnlichen Werken von Haydn und Mozart vor allem als zusätzliche Klangfarbe diente und notfalls in Ermangelung von Spielern sogar weggelassen wurde, ist Beethovens Sextett ohne Hörner nicht denkbar. Sie prägen das musikalische Geschehen hörbar und sind satztechnisch eng mit dem Streichquartett verzahnt.
Die Extraportion Wumms
Apropos Streichquartett - Wer beim Lesen schon über die Besetzungsliste gestolpert ist, stutzt vollkommen zurecht. Sieben Musiker*innen für ein Sextett? In gemischten Kammermusikbesetzungen im 18. Jahrhundert war es nicht unüblich, die Cellostimme an ausgewählten Stellen mit einem Kontrabass in der tiefen Oktave zu verstärken. So hatten die Streicher als Gegengewicht zu den Hörnern mehr Wumms!
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Im zweiten Satz lässt Beethoven die beiden Hörner in langen Liegetönen und spannungsvollen Vorhalten verschmelzen. Alles in allem ein gediegen sangliches Adagio. So sanglich, dass ein unbekannter Tonsetzer sich Mitte des 19. Jahrhunderts kurioserweise dazu hinreißen ließ, den Satz für Männerchor einzurichten und mit einem geistlichen Text zu unterlegen.
Was Hörner lieben…
Zum Glück beließ es der Anonymus beim zweiten Satz. Das virtuose Schlussrondo hat Beethoven nun wirklich unverkennbar den Hörnern auf den Leib geschrieben. In knackigen Fanfaren präsentieren sie sich von ihrer Schokoladenseite. Und wenn man Bart Aerbeydt und Gijs Laceulle vom Freiburger Barockorchester hier so munter beim Schmettern zuhört, bekommt die Sache mit der „Glücksspirale“ einen ganz neuen Beiklang…
Freiburger Barockorchester
Das Freiburger Barockorchester (FBO) zählt heute zu den führenden Ensembles der historisch informierten Aufführungspraxis. Seit mehr als 30 Jahren prägt es das internationale Musikleben und setzt mit seinen Konzerten und Einspielungen musikalische Maßstäbe.
Gegründet wurde das FBO 1987 von ehemaligen Studenten an der Hochschule für Musik in Freiburg, überwiegend aus der Geigenklasse von Rainer Kussmaul, dem späteren Konzertmeister der Berliner Philharmoniker. Bald avancierte das Ensemble zu einem der gefragtesten Orchester mit historischen Instrumenten und erlangte internationale Bekanntheit. Das FBO gastiert regelmäßig in den bedeutendsten, internationalen Konzertsälen und auf großen Musikfestivals.
Das Kernrepertoire des Orchesters ist die Musik des Barocks und der Klassik, doch wird auch immer wieder die Musik der Romantik aufgeführt, besonders Werke von Mendelssohn und Schumann. Im Sinne der historisch informierten Aufführungspraxis konzertiert das FBO meist ohne Dirigent, für ausgewählte Projekte, z. B. für Opernaufführungen oder Orchesterwerke in großer Besetzung, arbeitet das Ensemble mit namhaften Dirigenten wie René Jacobs, Pablo Heras-Casado, Sir Simon Rattle oder Teodor Currentzis zusammen. Bei SWR2 ist das Freiburger Barockorchester gerne gesehener und gehörter Stammgast – in Sendungen, Gesprächen und Konzertmitschnitten.
Die künstlerischen Leiter des FBO sind Gottfried von der Goltz (Violine) und Kristian Bezuidenhout (Hammerklavier), der diese Position 2017 von der Geigerin Petra Müllejans übernahm. Beide Künstler treten auch als Solisten in Erscheinung.
Die außerordentliche musikalische Vielfalt des FBO ist auf zahlreichen Einspielungen dokumentiert, die mit einer Vielzahl an Preisen und Auszeichnungen dekoriert wurden, darunter mehrere ECHO Klassik, Nominierungen für den Grammy und der Deutschen Schallplattenkritik.
Beethoven 2020 Musikstücke der Woche mit Beethoven
Hier finden Sie Musikstücke von Beethoven – fast alle zum kostenlosen Download. Aus den Archiven von SWR2 Musikstück der Woche.
Musikstück der Woche Beethovens Streichquartett f-Moll op. 95 mit dem Minetti Quartett
Jetzt wird’s ernst – denn Beethoven hat mit diesem Quartett in der Weltschmerz-Tonart f-Moll eine klingende Enzyklopädie der Seelenfinsternis geschrieben. Wahrscheinlich aus tiefem Liebeskummer heraus. Aber wenn Beethoven komponiert, kann selbst Schmerz schön sein!