Als Beethoven in seiner letzten und eigentümlichsten Schaffensperiode immer kühnere Werke schreibt, da konstatiert die Allgemeine Musikalische Zeitung: „Dann dürfen wir hier weniger als irgendwo Etwas, das an Gewohntes erinnert, erwarten, und werden neben dem innigst flehenden – auch auf manches himmelaufstürmende musikalische Wort gefasst sein müssen.“
Trefflicher als die Allgemeine Musikalische Zeitung kann man Beethovens A-Dur Sonate nicht zusammenfassen. Sie zählt zur Gruppe der letzten Klaviersonaten Beethovens und besticht durch ihre Widersprüchlichkeit und bricht dabei mit allerlei Konventionen.
Der Weg, den Beethoven in seinen vorherigen 27 Sonaten gleichsam beschritten hat, führt uns unweigerlich zu dieser letzten Schaffensperiode.
Der Umbruch, das Suchen nach neuen kompositorischen Wegen ist also der logische Schritt im von Krisen gebeutelten Leben Beethovens; besonders in den Jahren 1812 bis 1817, in die auch die Entstehung der A-Dur Sonate fällt.
Persönliche Schicksalsschläge und Geldnöte machten ihm schwer zu schaffen. Seine Kreativität bündelt er in den wenigen, großen Werken, die er in jener Zeit zu Papier bringt: Dem f-moll Streichquartett, der „Hammerklaviersonate“ und der A-Dur Sonate.
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Überraschung und Persiflage
Kein aufbrausendes Allegro beginnt diese Sonate, sondern innige, lyrische Gedanken. Beethoven eröffnet hier gewissermaßen schon den Kosmos der späteren, romantischen Klaviermusik.
Fast karikaturesk wirkt dagegen der zweite Satz: Ein Marsch, der in Fetzen die vom Wiener Kongress beendeten Freiheitskriege auf deutschem Boden zu persiflieren scheint. Rafal Blechacz spielt ihn in unserer Aufnahme mit großer Trotzheit, um sogleich den Kontrast zum langsamen Satz nur noch deutlicher zu machen.
Eine tiefgefühlte Melodie, die über 20 Takte ihren Weg durch das klagende a-Moll dieses Satzes vergebens sucht.
Sie scheitert und spiegelt damit ein erschütterndes Seelenportrait des großen Komponisten. Das Motiv der unendlichen Melodie, kein geringerer als Richard Wagner wird es später aufgreifen und steht damit ganz in der Tradition des Bonner Meisters.
Grenzen auslotend begibt sich Blechacz auch in den letzten Satz, und das im wahrsten Sinne des Wortes: Die Dominant-Tonart vor dem finalen, strahlenden A-Dur erreicht Beethoven über einen damals noch fehlenden Basston am Klavier, den er eigens für seinen Flügel neu anfertigen lässt: Ein „Contra-E“, wie die Partitur verrät.
Ein ungewohnter Ton
Diesen Ton im Finale des Werks war erst durch die allerneusten Klaviere der Zeit überhaupt spielbar: Das Kontra-E. Im Bassschlüssel sind vier Hilfslinien nach unten nötig, um diesen Ton zu notieren. Bis heute handelt es sich um das tiefste E auf der Klaviatur.
Mit der Notation des Kontra-E hatte offenbar selbst ein so versierter Musiker wie Beethoven manche Probleme: Die Partitur weist an der entsprechenden Stelle nicht nur eine Rasur, sondern sogar ein Loch auf. Wohl in Sorge, der Ton würde von den meisten Musikern schwer zu interpretieren sein, forderte Beethoven in seiner Handschrift: „Die Buchstaben auch im Stechen drunter gesetzt“.
Ein janusköpfiges Werk
Die Klaviersonate op. 101 entzieht sich deutlich den gängigen Lehrmeinungen über den Aufbau einer Sonate. Manche Interpreten helfen sich damit, sie als Zusammenschluss von vier „Charakterstücken“ zu sehen.
Das klingt schon sehr nach Zukunftsmusik, und tatsächlich sind allein die deutschen Überschriften, die Beethoven wählte (etwa „langsam und sehnsuchtsvoll“ für den dritten Satz) aus unserer Perspektive durchaus romantisch. „Typisch Beethoven“ scheint dagegen die Gewichtung des Finale zu sein.
An op. 101 wird zudem immer wieder hervorgehoben, welchen Bezug sie zum Zeitalter des Kontrapunkts hat. Tatsächlich interessierte sich Beethoven für die Musik Johann Sebastian Bachs und Georg Friedrich Händels sein Leben lang.
Ab etwa 1814 aber nahm dieses Interesse beständig zu. Die Auswirkungen der Kunst vor allem Bachs zeigen sich in diesem Werk zumal in der Durchführung des Finales. Das Thema für den hier erklingenden fugierten Abschnitt erwächst aus der Tiefe des Bassregisters, wandert durch verschiedene Tonarten, verdichtet sich immer mehr, bis es in einem enormen E-Dur-Arpeggio über sechs Oktaven in die Reprise mündet.
Beethoven kopiert Bachs Kunst hier nicht bloß, sondern er verbindet sie mit seiner eigenen, individuellen Tonsprache und frappierender pianistischer Technik zu etwas ganz Neuem.
Musik und Freiheit
Der Bezug auf alte Kompositionstechniken war für Beethoven alles andere als ein Rückzug in Altbekanntes oder gar eine Infragestellung von Moderne. Gerade die intensive Auseinandersetzung und das Anknüpfen an die Kunst der Vergangenheit schien ihm in der späten Phase seines Künstlerlebens unabdingbar.
1819, nach einem intensiven Studium der Musik Bachs und Händels in der Bibliothek des Erzherzogs Rudolph, benennt er Bach und Händel als „Genies“, schreibt aber auch: „Allein Freiheit, weiter gehn ist in der Kunstwelt wie in der ganzen großen Schöpfung Zweck.“