„Wer viel kann, kann auch wenig!“ Eine französische Redensart ist der zentrale Satz des ungeheuer unterhaltsamen Textes, den ein gewisser Monsieur de Machy, schlicht „Demachy“ genannt, 1685 zur Einführung seiner Veröffentlichung von acht Suiten für die Viola da Gamba verfasst.
Monsieur de Machy hat echtes Sendungsbewusstsein
„Warum wurden bis heute keine Bücher mit Stücken für Viola da Gamba geschrieben?“ fragt er, offenbar nicht unter Mangel an Selbstbewusstsein leidend, gleich zu Anfang seines Textes.
Auf den folgenden Seiten elaboriert er dann geistreich und nicht ohne Humor, dass auf seinem Spezialgebiet bislang einfach zu viel Verwirrung herrsche. Er habe den Überblick. Ein wenig führt die Zuspitzung dabei in die Irre: tatsächlich sind bereits vorher Stücksammlungen für das Instrument erschienen. Aber eben nicht solche. Und Polemik belebt das Geschäft, das weiß auch Demachy.
Gambenspielende – es gibt Solche und Solche
Demachy ist ein bekennender Konservativer, und als solcher ist er durchaus der Meinung, dass die jungen Leute es sich oft zu einfach machten mit der Gambe. Zarte Melodien spielen, wie es gerade in Mode sei… das könne ja jeder. Aber damit wolle man zu wenig.
Es sei Wesen der Viola da Gamba, Harmonie und Melodie auf einem Instrument verbinden zu können. Melodie sei nur eine Stimme eines viel größeren Ganzen, denn „Harmonien… sind die Seele der Musik“.
Und genau hier sieht Demachy den Vorteil der alten Schule: „Wer viel kann, kann auch wenig!“ Der wahre Könner beherrsche das Leichte, weil er das Schwere bewältigt habe.
Tabulatur oder Notenschrift?
Zu Demachys Zeiten gibt es bei der Niederschrift von Werken für die Viola da Gamba noch zwei miteinander konkurrierende Notationsmethoden. Die sogenannte „Tabulatur“ bildet optisch nicht abstrakte Notenhöhen ab, sondern zeigt stilisierte Griffbilder der Hand, welche jedem einzelnen Finger oft eindeutige Aufgaben zuweisen.
Während die modernere Notenschrift es den Spielenden in komplizierten Harmonien oft überlässt, die technischen Lösungen der Fingerpositionen aus den Kombinationen der Tonhöhen abzuleiten, liefert die Tabulatur gleich die Bedienungsanleitung mit: ein Bild der Gambensaiten erlaubt die genaue Lokalisierung jedes einzelnen Fingers. Malen nach Zahlen, nur eben mit Harmonien.
Für Demachys Zweck, Gambeninteressierten möglichst schnell möglichst vollklingende Kniffligkeiten beizubringen, ist die Tabulatur daher die zweckmäßigere Art der Notation, Zitat Demachy: „Der kürzeste Weg ist immer der beste“.
Demachy macht Kompromisse
Trotzdem veröffentlicht Demachy nur vier seiner Suiten, die zuletzt abgedruckten, in Tabulaturschrift. Die ersten vier Suiten setzt er in der Notenschrift, die zu seinem Missvergnügen gerade dabei ist, zum europäischen Standard zu werden. Der konservative Monsieur de Machy beugt sich dem Zeitgeist, schließlich will er, dass sein Gambenbuch Verbreitung findet. Und die jungen Leute wollen nun einmal die modernen Noten.
So kommt es, dass man in Demachys Erstdruck, den man heute leicht im Internet einsehen kann, die ersten vier Suiten notenkundig einfach lesen kann, während die letzten vier Suiten in einem optisch sehr seltsamen Code abgefasst sind.
Gambentabulatur sieht für die meisten Menschen aus wie Geheimschrift, zumal neben den Griffbildern viele Symbole zu dechiffrieren sind, die zusätzliche Verzierungsnoten andeuten. Andererseits sind gerade Demachys Hinweise zu Verzierungen für die heutige Forschung ein echter Quellenschatz.
„Sie können mich mal samstags besuchen“
Es bleibt kompliziert, und Demachy weiß das. So ist er auch Service-Dienstleister im zeitgenössischen Sinn des Wortes. Im Vorwort seiner Suiten lädt er Spieler seiner Musik und Interessierte ein, ihn doch mal zu besuchen, um sich über die Musik auszutauschen.
Franziska Finckh hat den spielerischen Zugang zu Demachys Musik erleichtert
Unsere „Musikstück der Woche“-Solistin Franziska Finckh hat eine Gambenklasse am Conservatoire de Musique sowie an der Académie Supérieure in Straßburg und ist Spezialistin für Demachys Musik.
Sie hat die Ruhe der Corona-Zeit genutzt: Während des Lockdowns hat sie die Suiten transkribiert, die bisher nur in Tabulatur vorlagen und 2020 im Hans-Rosbaud-Studio Baden-Baden für den SWR eingespielt. Sie ist damit Erstherausgeberin aller Demachy-Suiten in einheitlicher Notation, zudem die erste Künstlerin, die alle Suiten auf Tonträger eingespielt hat.
Franziska Finckh studierte Viola da Gamba bei Pere Ros an der Staatlichen Hochschule für Musik in Karlsruhe und legte das Diplom mit Auszeichnung ab. In Basel setzte sie ihre Ausbildung bei Paolo Pandolfo (Viola da Gamba) sowie Christophe Coin (Barockcello) fort und erwarb 2000 das Solistendiplom der Schola Cantorum Basiliensis.
Franziska Finckh gewann mehrere Wettbewerbe, u. a. 1999 den Förderpreis beim Kulturkreis des BDI sowie 2003 das Stipendium für Musik der Kunststiftung Baden-Württemberg. 2021 erhielt sie das Stipendium „Neustart Kultur“. Als Gambistin und Cellistin spielt sie in zahlreichen Ensembles, u. a. im Violenconsort Les Escapades.
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