Musikstück der Woche vom 31.10.bis 6.11.2011

Psalm für Chor und Glocken

Stand
Autor/in
Doris Blaich

Charles Ives: "Make a joyful noise upon the Lord"

Ives war eigentlich Versicherungsmakler. Seine wahre Leidenschaft aber war die Musik, und seine Kompositionen gehören zum Originellsten und Wagemutigsten, was die Musikgeschichte hervorgebracht hat. Das SWR Vokalensemble bietet mit einem kurzen und lebensfrohen Psalm eine Kostprobe. Franz Bach und Wieland Junge schlagen die Röhrenglocken, Marcus Creed hat die Leitung. Die Aufnahme entstand im November 2007 in der Stadtkirche Böblingen.

Das SWR Vokalensemble kurz vor einer Aufnahme
Das SWR Vokalensemble kurz vor einer Aufnahme

"Das natürliche Interesse des Menschen an der Kunst wird immer weiter wachsen ... bis der Tag kommt, an dem jedem Menschen bei der Kartoffelernte eigene Epen und Sinfonien einfallen", so der Wunschtraum des amerikanischen Komponisten Charles Ives (1874-1954). Ives hat an der Universität Yale eine musikalische Ausbildung absolviert, war aber im Hauptberuf Versicherungsvertreter. Jede Minute seiner freien Zeit nutzte er zum Komponieren, und er schrieb ein Werk nach dem anderen: unkonventionelle, originelle Musik, die sich traut, neue und unverbrauchte Wege zu gehen. Ives setzt sich unbekümmert über die Kategorien U- und E-Musik hinweg, er kombiniert Gospels mit der hehren Gattung des Streichquartetts, lässt Straßenlärm in seine Sinfonien hinein, schichtet unterschiedlichste Melodien und Rhythmen übereinander.

Musik muss den Menschen fördern!


"Die Zukunft der Musik", so hat Ives einmal sein musikalisches Credo formuliert, "hängt weniger von der Musik selbst ab als vielmehr davon, inwieweit es ihr gelingt, den Wünschen und Idealen der Menschen zu entsprechen und sie zu fördern statt einzuengen, und inwieweit es ihr gelingt, mit den höchsten Dingen eins zu werden, welche die Menschheit vollbringt und erträumt. Oder um es andersherum auszudrücken: Was die Musik ist und was sie sein soll, ist vielleicht schon im Glauben des unbekannten Philosophen enthalten, der vor einem halben Jahrhundert sagte: ‚Wie kann es überhaupt schlechte Musik geben? Alle Musik kommt ja vom Himmel. Wenn irgend etwas Schlechtes in ihr ist, dann muss ich selbst es hineingelegt haben – durch meine Ungeradlinigkeit und meine Beschränkungen, Die Natur erschafft Berge und Felder, der Mensch errichtet Zäune und Abgrenzungen.‘ Er ist der Wahrheit womöglich näher gekommen, als wir glauben wollen."

"Make a joyful noise!"


Ives' Vertonung des 100. Psalms stammt vermutlich aus dem Jahr 1902 (da war der Komponist knapp 28 Jahre alt). Die erste Aufführung fand 1966 statt – wie die meisten von Ives‘ Werken etliche Jahre nach seinem Tod. Hätte er den deutschsprachigen Bibeltext „Jauchzet dem Herrn, alle Welt“ zur Grundlage genommen, dann wäre das musikalische Ergebnis sicher viel glatter und geordneter. So aber hat er beherzt und mit musikantischer Energie die biblischen Worte in Musik übersetzt: "Macht Gott zu Ehren einen fröhlichen Lärm!". Die schillernde Harmonik – eine Mischung aus 'normalem' Moll und verschiedenen Kirchentonarten – und der Klang der Röhrenglocken verleihen dem Stück zusätzlichen Reiz.

SWR Vokalensemble Stuttgart

Die Geschichte des SWR Vokalensembles Stuttgart spiegelt in einzigartiger Weise die Kompositionsgeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts wieder. Auf Beschluss der Alliierten und im Zuge von Demokratisierungsmaßnahmen wurden 1946 Rundfunkanstalten und Ensembles gegründet, darunter auch der damalige Südfunkchor. Ihm kam die Aufgabe zu, das Schallarchiv mit Musik aller Arten und für jegliche Anlässe zu versorgen. Mit dem Dirigenten Hermann Joseph Dahmen, der den Chor von 1951 bis 1975 leitete, begann die Zeit der allmählichen Spezialisierung auf Neue Musik. Von 1953 an vergab der Chor regelmäßig Kompositionsaufträge.
Zu internationaler Reputation als Ensemble für Neue Musik gelangte das SWR Vokalensemble mit seinen späteren Chefdirigenten Marinus Voorberg, Klaus-Martin Ziegler und mit Rupert Huber. Schon Voorberg, insbesondere aber Huber formte den typischen Klang des SWR Vokalensembles, geprägt von schlanker, gerader Stimmgebung. Viele der mehr als 200 Uraufführungen, die in der Chronik des SWR Vokalensembles verzeichnet sind, hat er dirigiert. Auf diesem Niveau konnte Marcus Creed aufbauen, als er 2003 die Position des Chefdirigenten übernahm. Dem Ensemble ging zu diesem Zeitpunkt bei Fachpresse und Publikum längst der Ruf voraus, in konstruktiver Offenheit mit den Schwierigkeiten zeitgenössischer Partituren umzugehen.

In seinen ersten Stuttgarter Jahren legte Creed, der als einer der profiliertesten Dirigenten internationaler Profichöre gilt, seine Arbeitsschwerpunkte deshalb auf das Vokalwerk von György Ligeti, Luigi Dallapiccola und Luigi Nono. Darüber hinaus setzte er die Reihe der Uraufführungen fort. Intensiviert wurde vor allem die Zusammenarbeit mit Georges Aperghis, Heinz Holliger und György Kurtág. Die Studioproduktion des SWR Vokalensembles Stuttgart erscheinen zu einem großen Teil auf CD und werden regelmäßig mit internationalen Preisen ausgezeichnet, darunter der Preis der Deutschen Schallplattenkritik, der Grand Prix du Disque und der Midem Classical Award. 2009 erhielt das SWR Vokalensemble als "Ensemble des Jahres" den Echo-Klassikpreis, 2011 folgte für seine CD mit Chorwerken von Villa-Lobos der Echo "Choreinspielung des Jahres im Bereich 20. Jahrhundert".

Stand
Autor/in
Doris Blaich