Von Helden und Reagenzgläsern
Dass Alexander Borodin ein Komponist war, das ist ein Irrtum. Borodin war vor allem Professor für organische Chemie, und Musik war für ihn "Zeitvertreib, als eine Erholung von ernsteren Beschäftigungen", wie er selbst sagte. Zum Komponieren blieben ihm nur seine Urlaubszeiten und Tage, an denen er krank zuhause blieb. Ein trauriger Umstand, fanden seine Musiker-Freunde, die sogar dazu übergingen, ihm statt Gesundheit lange Phasen der Bettlägerigkeit zu wünschen. Eine Krankheit befreite Borodin von Vorlesungen an der Akademie in St. Petersburg, von Sitzungen, Prüfungen und Laborarbeiten. Solche Tage nutzte Borodin für die Niederschrift von Noten statt chemischer Formeln. Nun war Borodin aber selten krank, weshalb er kaum ein Werk zügig zu Ende brachte. Für seine Oper "Fürst Igor" benötigte er unglaubliche achtzehn Jahre - um sie am Ende doch als Torso zu hinterlassen.
Aber Borodins Alltag war dennoch geprägt von Musik und vom Musizieren mit Freunden, zu denen seit 1864 auch Mili Balakirew gehörte, durch den er schließlich mit César Cui, Modest Mussorgski und Nikolai Rimski-Korsakow und damit mit dem sogenannten "Mächtigen Häuflein" der russischen Musik zusammenkam. Russische Musik zu finden und zu schaffen, das war das Ziel dieser Musiker, die sich auf einer nationalromantischen 'Woge' über die bis dahin in Rußland gepflegte eher westliche geprägte Musikkultur hinweg tragen ließen. Musiker-Kollegen wie Rimski-Korsakow berichteten von Borodins 'Doppelleben', der sich auch dann mit Musik beschäftigte, wenn er eigentlich gerade mitten in einer chemischen Versuchsanordnung steckte: "Hatte er seine Arbeit beendet, machten wir es uns in der Wohnung bequem und musizierten oder unterhielten uns über Musik. Mitten im Gespräch sprang er auf und rannte ins Laboratorium, um nachzuschauen, ob dort nicht etwas ausgebrannt oder übergekocht sei."
Auch für seine zweite Sinfonie benötigte der 'Teilzeitkomponist' Borodin viele Jahre. So entstand sie zwischen 1869 und 1876, während er zeitgleich auch an seiner Oper "Fürst Igor" komponierte. So wundert es nicht, dass auch in der Sinfonie volkstümlich-episches zu finden ist, ja sogar manches an Themen und Analogien sich überschneidet. Die berühmten "Polowetzer Tänze" aus "Fürst Igor" mögen als Beispiel für diese Aura dienen, die Sinfonie und vor allem Oper aus dem mittelalterlichen Igorlied an russischer Nationalromantik schöpfen, ja den Klang einer 'genuinen' russischen Musik in der Romantik geschaffen haben. Der berühmte Kritiker und Musikschriftsteller Wladimir Stassow glaubte, in Borodins zweiter Sinfonie gar "den Geiste eines alten russischen Epos" zu entdecken. er schrieb: "Borodin selbst erzählte mir mehrmals, dass er im Adagio die Figur des Bajan darstellen wollte, im ersten Satz eine Versammlung russischer Helden und im Finale die Szene eines Gelages der Helden." Stassow nannte die Sinfonie folglich die "Heldensinfonie", ein Name, der ihr bis heute anhaftet.
Als die zweite Sinfonie 1877 in St. Petersburg uraufgeführt wurde, fiel sie beim Publikum durch. Rimski-Korsakow erklärte sich den Mißerfolg aufgrund der komplizierten Blechbläsersätze, vereinfachte sie und führte die Sinfonie selbst ein zweites Mal auf. Das halft. Auch eine weitere Aufführung 1880 war ein Erfolg. Franz Liszt arrangierte in Baden-Baden ein Konzert und machte damit Borodin außerhalb Russlands bekannt. Dirigent dieses Baden-Badener Konzerts war Wendelin Weißheimer, dem Borodin begeistert schrieb: "Herr Professor Riedel war so freundlich, mich über den Erfolg meiner Symphonie zu benachrichtigen. Den guten Erfolg habe ich ohne Zweifel der ausgezeichneten Ausführung unter Ihrer talentvollen Leitung zuzuschreiben."
SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg
Das 1946 gegründete SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg identifiziert sich bis heute mit den Idealen seiner "Gründerväter", die der festen Überzeugung waren, dass die engagierte Förderung der neuen Musik ebenso wichtiger Bestandteil des Rundfunk-Kulturauftrags ist wie der Umgang mit der großen Tradition.
In diesem Sinne haben die Chefdirigenten von Hans Rosbaud über Ernest Bour bis zu Michael Gielen gearbeitet und ein Orchester kultiviert, das für seine schnelle Auffassungsgabe beim Entziffern neuer, "unspielbarer" Partituren ebenso gerühmt wird wie für exemplarische Aufführungen und Einspielungen des traditionellen Repertoires eines großen Sinfonieorchesters. An die 400 Kompositionen hat das Orchester bisher uraufgeführt und damit Musikgeschichte geschrieben; es gastiert regelmäßig in den (Musik)-Hauptstädten zwischen Wien und Amsterdam, Berlin und Rom, Salzburg und Luzern. Von 1999 bis 2011 hat Chefdirigent Sylvain Cambreling das Orchester entscheidend geprägt. Seit September 2011 steht François-Xavier Roth an der Spitze.