Musikstück der Woche vom 5.-11.3.2012

Von allem etwas

Stand

George Enescu: Klavierquartett Nr. 1 D-Dur op. 16

Tammuz ist im babylonisch-assyrischen Mythenkreis der Geliebte der Liebesgöttin Ischtar. Nach ihm hat sich das Tammuz Piano Quartet benannt. In unserem Musikstück der Woche spielt es ein besonders leidenschaftliches Klavierquartett von dem Rumänen George Enescu. Der Live-Mitschnitt stammt von den Bruchsaler Schlosskonzerten 2009.

"Die größte musikalische Erscheinung seit Mozart" ist George Enescu einmal genannt worden – vielleicht etwas vollmundig, aber immerhin von einem der wusste, wovon er sprach: der Jahrhundert-Cellist Pablo Casals. Enescu war durch und durch und auf allen Ebenen Musiker: Komponist, Violinvirtuose, Pianist, Dirigent, Musikschriftsteller und Pädagoge. 1881 im moldawischen Teil Rumäniens geboren, kam er früh mit der Musik in Berührung. Seine Eltern erkannten die außergewöhnliche Begabung und schickten den erst 7 Jahre alten Sohn ans Wiener Konservatorium. Tief beeindruckt vom Wiener Musikleben und seiner reichen Tradition schrieb der junge Enescu: "Für mich bedeutete Beethoven keineswegs das, was er für die heutige Jugend ist: ein großer Mann, dessen Existenz sich im Dunkel der Zeiten verliert, sondern ein Künstler, der noch in der Erinnerung der alten Leute fortlebte. Und Brahms war kein Schatten, sondern lebendige Wirklichkeit." Enescu hatte nämlich das Glück, Brahms (den er vergötterte!) in Wien noch kennen zu lernen. In der Tradition dieser "lebendigen Wirklichkeit" entstand 1909 das Klavierquartett op. 16.

Die Vereinigung von Musizierlust und Delikatesse

Eigentlich komponierte Enescu nur 'nebenbei', wenn es seine Zeit zuließ. Denn im Hauptberuf war er Geiger, und er hat schon früh eine große Solistenkarriere gemacht. Gemeinsame Konzerte mit berühmten Virtuosen (Enescu hatte ein eigenes Klaviertrio und ein Quartett) boten ihm Möglichkeiten, seine Kammermusik-Kompositionen öffentlich zu spielen; so auch sein erstes Klavierquartett.

Enescu hat die musikalischen Strömungen seiner Zeit aufgesogen wie ein Schwamm: die Musik seiner rumänischen Heimat mit ihrer wunderbar reichen und farbenfrohen Volksmusik ebenso wie die seiner französischen Kompositionslehrer Jules Massenet und Gabriel Fauré. Und auch der Stil seiner Freunde Maurice Ravel und Charles Koechlin hinterließ Spuren in Enescus eigener musikalischer Tonsprache. So gibt es in dem Klavierquartett op. 16 von allem etwas: Brahms‘ Klavierquartett-Tradition klingt durch, der Charme und die Leichtigkeit der französischen Musik und die beherzte rumänische Musizierlust. Und natürlich auch die hohen technischen Ansprüche eines komponierenden Virtuosen an sich selbst.

Tammuz Piano Quartet

Tammuz Piano Quartet
Die vier Musiker des Tammuz Piano Quartet


Wenn sich der ehemalige Konzertmeister der Wiener Philharmoniker (Daniel Gaede) zusammentut mit dem ehemaligen Bratscher des Artemis Quartetts (Volker Jacobsen) und einem Cellisten, der als erster Deutscher beim Internationalen Tschaikowsky-Wettbewerb den ersten Preis gewonnen hat (Gustav Rivinius), dann kann das musikalische Resultat nur spannend sein. Zumal, wenn dann noch ein Pianist wie Oliver Triendl dazukommt, der sich mit ebenso großer Begeisterung der Kammermusik widmet. Bei den Schwetzinger SWR Festspielen gaben die vier ihr gemeinsames Debüt-Konzert. Das war 2007, und seither machen sie mit großem Können, Liebe und Leidenschaft zusammen Musik. Das spiegelt sich auch im Ensemble-Namen wider: Tammuz war im babylonisch-assyrischen Mythenkreis der Geliebte der Liebesgöttin Ischtar.

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SWR