Musikstück der Woche vom 30.1. bis 5.2.2012

Fuge mit poetischem Element

Stand
Autor/in
Kerstin Unseld

Tief in der Tradition von Johann Sebastian Bach verhaftet, gleichzeitig durch und durch romantisch: Felix Mendelssohn-Bartholdys "Präludien und Fugen für Klavier" op. 35 'atmen' beides.

Der große russische Pianist Evgeni Koroliov fühlt sich dem Werk Bachs in besonderer Weise verpflichtet. Von Bach ist es nur ein kleiner Schritt bis zu Mendelssohns "Präludien und Fugen", die viel Barockes in sich tragen. In einem Ettlinger Schlosskonzert am 14.11.2008 trat Koroliov mit Mendelssohns op. 35 Nr. 2 auf.

Ein handschriftlicher Brief des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy mit dessen Unterschrift
Ein handschriftlicher Brief des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy mit dessen Unterschrift an Johann Wolfgang von Goethe von 1831.

Bach als Basis

13 Jahre alte war Fanny Mendelssohn, als sie auswendig die 24 Präludien von Johann Sebastian Bach vortrug. Und kaum älter war ihr Bruder Felix, als er eine Abschrift der Matthäus-Passion geschenkt bekam. Einschneidende Musikerlebnisse für die Geschwister. Die 'Spätfolgen' zeigten sich spätestens 1829, als der 20-jährige Mendelssohn mit der Wiederaufführung der Matthäus-Passion hundert Jahre nach deren Entstehung einen Meilenstein in der Musikgeschichte und Maßstäbe für Generationen von Interpreten setzte. Aber zurück in die Kinderzeit der Mendelssohns: Im kunst- und musiksinnigen Hause Mendelssohn lernten die Kinder Bachs Musik kennen, und Orgelunterricht war selbstverständlicher Bestandteil der Ausbildung. Fanny und Felix faszinierte – ganz gegen den Geschmack der Zeit - Bachs Musikstil, und von Jugend an waren sie für diese völlig vergessene Musik voller Verehrung. Mit 11 hatte Felix selbst Orgelwerke komponiert, überhaupt sollte die Orgel mehr als jedes andere Instrument für ihn im Mittelpunkt stehen: Auf langen Bildungsreisen besuchte er die Orgeln in der Schweiz, in Paris oder in Italien, und schließlich seit 1829 auch in England. Nach England reiste Mendelssohn zwölfmal, feierte unglaubliche Triumpfe – nicht in erster Linie als Komponist sondern als Organist. Kaum ein konzertierender Organist war in dieser Zeit bekannter und erfolgreicher als Mendelssohn und nach einem fulminanten Orgelkonzert in der Londoner St. Paul’s Cathedral (1837) wurde er sogar als der größte bezeichnet, der jemals in London gespielt habe.

Von der eigenen Freude am Orgelspiel, von dem Studium der Bach-Präludien und Fugen war es für Felix Mendelssohn ein kurzer Schritt hin zu eigenen Präludien und Fugen. Zwischen 1831 und 1837 schrieb er "Sechs Präludien und Fugen für Klavier" op. 35, wobei die Fugen teilweise weit früher als die jeweiligen Präludien entstanden. Diese Werke sind durchdrungen von dem 'Geiste' Bachs, von der schöpferischen Auseinandersetzung mit dem Orgel- und Klavierschaffen des Thomaskantors. Gleichzeitig sind sie höchst originelle, originäre Werke eines Komponisten der Romantik.

Klaviertauglich sind die Fugen des komponierenden Organisten Mendelssohn vor allem, die genial die Mitte finden zwischen strenger Kontrapunktik und allzu romantischer Ausschmückung. Robert Schumann, der Mendelssohns op. 35 eine ausführliche und sehr kluge Rezension widmete, lobte genau dies: seien die Präludien und Fugen doch weder etwas für "Fugenmeisterreiter" noch für "romantische Überflieger".

Evgeni Koroliov (Klavier)

1949 in Moskau geboren, durchlief Evgeni Koroliov die gründliche pianistische Ausbildung, die Hochbegabten in der damaligen Sowjetrepublik zuteil wurde. Nach erstem Klavierunterricht an der Zentralen Musikschule studierte er am Tschaikowsky-Konservatorium in Moskau bei den charismatischen Klavierpädagogen Lew Oborin und Lew Naumow. Zu seinen frühen Lehrern zählten auch der "Meistermacher" Heinrich Neuhaus und die legendäre Pianistin Maria Judina. Nach dem Studium unterrichtete Koroliov zunächst am Moskauer Konservatorium, übersiedelte dann jedoch zu seiner Frau nach Mazedonien, wo ihn 1978 seine Berufung als Professor an die Hamburger Musikhochschule erreichte.

Mehrere Preise wichtiger Wettbewerbe, darunter der Bach-Preis Leipzig, den er als 19-jähriger gewann, der amerikanische Van Cliburn-Preis, und der Grand Prix Clara Haskil, ebneten Evgeni Koroliov den Weg zu einer internationalen Karriere. Er gastierte in den großen Musikzentren der Welt ebenso wie bei den internationalen Musikfestivals und trat auch als Kammermusikpartner von Künstlern wie Natalia Gutman, Mischa Maisky, dem Auryn und dem Keller Quartett auf. Außerdem ist er Duopartner seiner Frau Ljupka Hadzigeorgieva.

Dem Werk Johann Sebastian Bachs fühlt der Pianist sich besonders verbunden. Bereits als 17-jähriger erregte er durch eine Aufführung des gesamten "Wohltemperierten Klaviers" in Moskau Aufsehen. Sämtliche großen Klavierwerke Bachs gehören zum Grundbestand seines Repertoires, seine h-Aufnahmen, namentlich die der "Kunst der Fuge", sichern ihm eine herausragende Stellung in der Geschichte der Bach-Rezeption.

In der internationalen Klavierszene fällt Koroliov auf durch seinen gänzlichen Mangel an Attitüden. Er überzeugt 'ganz einfach' durch sein Können: seine überragende Technik, noble Anschlagskultur und luzide Transparenz - und durch seine geistige Durchdringung der Werke. Damit nähert er sich dem Punkt, an dem "Musik sich selber spielt", wie ein Kritiker anmerkte. Ein englischer Rezensent bringt es so auf den Punkt: "He plays Schubert’s Schubert, not his..."

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Kerstin Unseld