Musikstück der Woche 27.6.-3.7.2011

Ein abendliches Tongemälde

Stand
Autor/in
Dorothea Bossert

Richard Strauss: "Der Abend" für 16-stimmigen gemischten Chor a cappella op. 34 Nr. 1

Unser erstes Musikstück im Sommer 2011 schildert einen prachtvoll leuchtenden Sonnenuntergang: "Der Abend" von Richard Strauss. Das SWR Vokalensemble Stuttgart singt unter Leitung seines Chefdirigenten Marcus Creed. Die Aufnahme stammt vom November 2004.

Sänger des SWR Vokalensembles Stuttgart
Sänger des SWR Vokalensembles Stuttgart

Richard Strauss, der als letzter bedeutender Vertreter der klassisch-romantischen Tradition ins 20. Jahrhundert hineinragt, bleibt in seiner Komposition "Der Abend" für Chor a cappella dicht am Text: Er "vertont" ihn und füllt die Bilder mit dichtester Harmonik. Der Abend wird bei Strauss zum Tongemälde. Das hohe g der Soprane, im pianissimo über 20 Takte gehalten, bildet die Ausgangsbasis für einen prachtvoll leuchtenden Sonnenuntergang: in glühenden Farben und fallenden Linien senkt sich im Verlauf des ganzen Stückes das sich verwandelnde Licht. Auch im Detail finden sich eine Vielzahl abschnittsweiser assoziativ-bildhafter Vertonungen - wie etwa die langsamer werdenden Rosse und das funkelnde Wellenspiel des Meeres.
Was die Chorstimmen betrifft, versucht sich Strauss hier ganz an einer instrumentalen Stimmbehandlung, an klassischer Polyphonie (und er nimmt wenig Rücksicht auf die Möglichkeiten und Grenzen der menschlichen Stimme) - eine kunstvoll konstruierte Partitur, die ihre Inspiration aus den Bildern von Friedrich Schillers Gedicht zieht.

Der Abend

Senke, strahlender Gott - die Fluren dürsten
Nach erquickendem Thau, der Mensch verschmachtet.
Matter ziehen die Rosse -
Senke den Wagen hinab!

Siehe, wer aus des Meeres krystallner Woge
Lieblich lächelnd dir winkt! Erkennt dein Herz sie?
Rascher fliegen die Rosse.
Thetys, die göttliche, winkt.

Schnell vom Wagen herab in ihre Arme
Springt der Führer, den Zaum ergreift Cupido.
Stille halten die Rosse.
Trinken die kühlende Fluth.

An dem Himmel herauf mit leisem Schritte
Kommt die duftende Nacht; ihr folgt die süsse
Liebe. Ruhet und liebet!
Phoebus, der liebende, ruht.

Friedrich von Schiller

SWR Vokalensemble Stuttgart

Das SWR Vokalensemble kurz vor einer Aufnahme
Das SWR Vokalensemble kurz vor einer Aufnahme

Die Geschichte des SWR Vokalensembles Stuttgart spiegelt in einzigartiger Weise die Kompositionsgeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts wieder. Auf Beschluss der Alliierten und im Zuge von Demokratisierungsmaßnahmen wurden 1946 Rundfunkanstalten und Ensembles gegründet, darunter auch der damalige Südfunkchor. Ihm kam die Aufgabe zu, das Schallarchiv mit Musik aller Arten und für jegliche Anlässe zu versorgen. Mit dem Dirigenten Hermann Joseph Dahmen, der den Chor von 1951 bis 1975 leitete, begann die Zeit der allmählichen Spezialisierung auf Neue Musik. Von 1953 an vergab der Chor regelmäßig Kompositionsaufträge.
Zu internationaler Reputation als Ensemble für Neue Musik gelangte das SWR Vokalensemble mit seinen späteren Chefdirigenten Marinus Voorberg, Klaus-Martin Ziegler und mit Rupert Huber. Schon Voorberg, insbesondere aber Huber formte den typischen Klang des SWR Vokalensembles, geprägt von schlanker, gerader Stimmgebung. Viele der mehr als 200 Uraufführungen, die in der Chronik des SWR Vokalensembles verzeichnet sind, hat er dirigiert. Auf diesem Niveau konnte Marcus Creed aufbauen, als er 2003 die Position des Chefdirigenten übernahm. Dem Ensemble ging zu diesem Zeitpunkt bei Fachpresse und Publikum längst der Ruf voraus, in konstruktiver Offenheit mit den Schwierigkeiten zeitgenössischer Partituren umzugehen.

In seinen ersten Stuttgarter Jahren legte Creed, der als einer der profiliertesten Dirigenten internationaler Profichöre gilt, seine Arbeitsschwerpunkte deshalb auf das Vokalwerk von György Ligeti, Luigi Dallapiccola und Luigi Nono. Darüber hinaus setzte er die Reihe der Uraufführungen fort. Intensiviert wurde vor allem die Zusammenarbeit mit Georges Aperghis, Heinz Holliger und György Kurtág. Die Studioproduktion des SWR Vokalensembles Stuttgart erscheinen zu einem großen Teil auf CD und werden regelmäßig mit internationalen Preisen ausgezeichnet, darunter der Preis der Deutschen Schallplattenkritik, der Grand Prix du Disque und der Midem Classical Award. 2009 erhielt das SWR Vokalensemble als "Ensemble des Jahres" den Echo-Klassikpreis.

Stand
Autor/in
Dorothea Bossert