Musikstück der Woche 18.10.-24.10.2010

„Voll geheimen Lächelns und geheimer Trauer“

Stand
Autor/in
Doris Blaich

Wolfgang Amadeus Mozart: Klavierkonzert G-Dur KV 453

Dieses Klavierkonzert schrieb Mozart für seine begabte Schülerin Barbara von Ployer, die ihn dafür reichlich entlohnte. In unserer Aufnahme spielt Roger Muraro den Klavierpart. Das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg begleitet, Sylvain Cambreling dirigiert. Ein Konzertmitschnitt vom Mai 2008 aus der Alten Oper Frankfurt.

„Eine bewundernswürdige Geschwindigkeit, die man besonders in Rücksicht der linken Hand oder des Basses einzig nennen konnte, Feinheit und Delikatesse, der schönste, redendste Ausdruck“, so erinnert sich Mozarts Biograf Franz Xaver Niemetschek, „sind die Vorzüge seines Spieles gewesen, die gepaart mit seiner Gedankenfülle, mit der Kenntniß der Komposition natürlich jeden Hörer hinreißen, und Mozarten zu dem größten Klavierspieler seiner Zeit erheben mußten“. Wien war begierig, diesen Ausnahmekünstler zu erleben, und Mitte der 1780er Jahre war Mozart everybody’s darling. Er spielte für die Freimaurer wie für die Wiener Tonkünstlersozietät, vor dem Adel und dem Kaiser, er unterrichtete Klavier- und Kompositionsschüler: „der ganze vormittag ist den scolaren gewidmet. – und abends hab ich fast alle tage zu spiellen“, berichtete Mozart seinem Vater.

(K)ein Schülerkonzert

Die meisten seiner Klavierkonzerte schrieb Mozart für sich selbst. Einige entstanden aber auch für begabte Schülerinnen. Das Konzert in G-Dur KV 453 zum Beispiel. Es ist eines von Mozarts zwei Konzerten für seine Star-Schülerin Barbara von Ployer, die es im Juni 1784 aufführte und für diese Aufführung eigens ein Orchester anmietete – ein ziemlich großes, denn das Konzert stammt aus der Zeit, in der Mozart den Reiz des Bläserklangs im Orchester entdeckt hatte und mit großer Finesse einsetzte. Eine Flöte, zwei Oboen, zwei Fagotte und zwei Hörner kommen neben den Streichern zum Einsatz (noch keine Klarinetten, die tauchen in Mozarts Klavierkonzerten erst etwas später auf).

Seufzer und Sonnenschein

„In freundlicher Tonart steckt es voll geheimen Lächelns und geheimer Trauer.“ Diese Charakteristik des Musikforschers Alfred Einstein trifft auf alle drei Sätze des Konzerts zu. Im ersten Satz trüben Mollklänge, Seufzerfiguren, Dissonanzen und harmonisch schroffe Trugschlüsse immer wieder die ansonsten heitere Stimmung. Blitzschnell legen sich diese Schatten über das Sonnenlicht und lösen sich genauso schnell auf wie sie erschienen sind.
Gesanglich wie ein Opernensemble beginnt der zweite Satz (wie der erste in Sonatensatzform), in dem die Solobläser besonders prominent hervortreten. Beinahe sakral ist hier der Gestus, und es gibt Anklänge an das „Et incarnatus est“ aus Mozarts c-Moll-Messe, die im Jahr zuvor uraufgeführt wurde. Mozarts Kunst, mit seinen Instrumentalpartien Menschen aus Fleisch und Blut in Erscheinung treten zu lassen, zeigt sich besonders, wenn das Klavier zum ersten Mal auftritt: hier sind Verzweiflung und Schmerz in Musik gesetzt, riesige Sprünge auf der Klaviatur erklingen gleichsam als Abbild einer inneren Zerrissenheit.
Das Finale ist ein Variationssatz mit einem einprägsamen Gassenhauer-Thema. Mozart hat diese Melodie seinem Haustier, einem Staren, beigebracht. Der „Vogel Stahrl“ konnte sie offenbar leidlich nachpfeifen, wobei er allerdings einen bestimmten Ton immer falsch sang und einen anderen zu lang aushielt. Mozart kommentierte in seinem ‚Ausgabenbuch’ die eigenmächtige Fassung des Vogels mit der ironischen Bemerkung „Das war schön!“ Auch dieser Satz hat einen Abschnitt in Moll, in dem sich in das „geheime Lächeln“ eine düstere Trauer einnistet. Doch sie wird hinweggefegt mit der gut gelaunten Coda, die dem Drunter und Drüber eines witzigen Opernfinales abgelauscht ist.

Roger Muraro

Der französische Pianist Roger Muraro hat sich vor allem der Musik Olivier Messiaens gewidmet, dessen gesamtes Klavierwerk er auf Schallplatte aufnahm. Das hat sicherlich auch mit seinem Werdegang am Pariser Konservatorium zu tun: 1977 bewarb er sich dort erfolglos um einen Studienplatz. Allerdings wurde Messiaens Ehefrau, die Pianistin Yvonne Loriod, auf Muraro aufmerksam, nahm ihn ein Jahr später in ihre Klasse auf und gab ihm wichtige Impulse für die Interpretation von Messiaens Musik. Zudem erhielt Muraro Unterricht bei Eliane Richpin.
1986 gewann er beim Internationalen Tschaikowskywettbewerb den vierten Platz. Neben der Musik Messiaens stehen Werke von Mozart, Chopin, Mussorgsky, Debussy und Albéniz im Mittelpunkt seines Repertoires.

SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg

Die Geschichte des SWR Sinfonieorchesters Baden-Baden und Freiburg reicht in das Jahr 1946 zurück. Sie ist geprägt von unroutiniertem Umgang mit der Tradition, Aufgeschlossenheit für das Neue und Ungewöhnliche: Tugenden, über die auch Chefdirigent Sylvain Cambreling in ungewöhnlichem Maße verfügt, der seit 1999 mit dem Orchester arbeitet. Er bildet, zusammen mit seinem Vorgänger Michael Gielen und Hans Zender als ständigen Gastdirigenten, ein Triumvirat, wie es in der internationalen Orchesterlandschaft beispiellos ist. 

Das Sinfonieorchester Baden-Baden Freiburg
Das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg

Dass man mit hohen Ansprüchen Erfolg haben kann, beweist das Orchester bis heute. Mehr als 300 von ihm eingespielte Kompositionen sind auf CD erschienen, und es reist seit 1949 als musikalischer Botschafter durch die Welt. Zahlreiche Gastspiele verzeichnet die Orchesterchronik, darunter regelmäßig zum Festival d’Automne Paris, den Salzburger Festspielen, nach Wien, Berlin und Edinburgh, Brüssel, Luzern, Strasbourg, Frankfurt... 

1999 spielte das Orchester in der New Yorker Carnegie Hall u.a. die amerikanische Erstaufführung von Bernd Alois Zimmermanns "Requiem für einen jungen Dichter". Vielbeachtete Großprojekte fanden in den letzten Jahren unter anderem bei den Salzburger Festspielen, bei der 1. RUHRtriennale und in der Kulturhauptstadt Europas Graz statt. 2005/06 wurden - neben dem orchestereigenen 60. Geburtstag - sowohl Mozarts 250. als auch Helmut Lachenmanns 70. Geburtstag in etwa einem Dutzend Konzerten zwischen Wien und Paris, Brüssel und Berlin gefeiert.

Ungewöhnliche Konzert-Konzepte unterstreichen das besondere Profil des Orchesters: So etwa die Verschränkung von Haydns "Sieben letzten Worten" in einer den Raum einbeziehenden Bearbeitung von Sylvain Cambreling mit Messiaens "Et exspecto resurrectionem mortuorum" und literarisch-theologischen Betrachtungen von Martin Mosebach, oder eine "Hommage à Mozart" gemeinsam mit dem Freiburger Barockorchester.

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Doris Blaich