Streit um eine Jahreszahl
Es wäre so viel einfacher für die Mozartforscher, wenn das Autograph des Kyrie in d-Moll irgendwann im 19. Jahrhundert nicht verschollen wäre. Dann könnten sie durch Analyse der Papiersorte oder der Handschrift vielleicht einen Hinweis darauf finden, wann Mozart sein KV 341 bzw. KV 368a tatsächlich komponierte. Lange Zeit vermuteten die Wissenschaftler, er habe es wohl zwischen November 1780 und März 1781 geschrieben. Ihr Indiz dafür war der Orchesterpart, in dem Mozart – übrigens zum ersten und letzten Mal in seiner Kirchenmusik – Klarinetten besetzt hatte. In Salzburg standen Mozart allerdings keine Klarinetten zur Verfügung, aber in München! Dort hat er sich 1781 aufgehalten und seinen "Idomeneo" aufgeführt, ebenfalls mit Klarinettenbesetzung. Aus diesem Grund trägt das Kyrie in d-Moll heute den Beinamen "Münchner Kyrie". Erst später fanden Forscher heraus, dass sich Mozart auch in Wien noch mit Entwürfen für Messen beschäftigte. Und das, obwohl der Aufklärungskaiser Joseph II die Kirchenmusik stark eingeschränkt hatte. Vielleicht komponierte Mozart das Kyrie also doch erst in seinen letzten Lebensjahren, zwischen 1787 und 1791? Einig sind sich die Mozartforscher bis heute nicht.
Unbestreitbar hingegen ist die Größe des Werks, sowohl in der Qualität als auch in der Ausführung: Mit 119 Takten und sieben Minuten Dauer ist es Mozarts längstes Kyrie. Es wirkt eher wie der Beginn einer Messe oder eines Requiems als ein für sich stehendes Werk. Wenn dann noch die seufzenden Streicher den homophonen Chorsatz begleiten, hört man wahrhaftig ein Flehen um göttliches Erbarmen. Es ist sicher auch kein Zufall, dass Mozart die gleiche Tonart verwendet hat wie für "Don Giovanni" und das "Requiem". Um noch einmal Alfred Einstein zu zitieren: "Die Meisterschaft der architektonischen Anlage, der Abgrenzung der vokalen und instrumentalen Gruppen, die Feinfühligkeit der Ausführung im Detail – man verfolge irgendeins der Bläserpaare! – ist derart, dass man auf die Knie sinken möchte."
SWR Vokalensemble Stuttgart
Die Geschichte des SWR Vokalensembles Stuttgart spiegelt in einzigartiger Weise die Kompositionsgeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts wieder. Auf Beschluss der Alliierten und im Zuge von Demokratisierungsmaßnahmen wurden 1946 Rundfunkanstalten und Ensembles gegründet, darunter auch der damalige Südfunkchor. Ihm kam die Aufgabe zu, das Schallarchiv mit Musik aller Arten und für jegliche Anlässe zu versorgen. Mit dem Dirigenten Hermann Joseph Dahmen, der den Chor von 1951 bis 1975 leitete, begann die Zeit der allmählichen Spezialisierung auf Neue Musik. Von 1953 an vergab der Chor regelmäßig Kompositionsaufträge.
Zu internationaler Reputation als Ensemble für Neue Musik gelangte das SWR Vokalensemble mit seinen späteren Chefdirigenten Marinus Voorberg, Klaus-Martin Ziegler und mit Rupert Huber. Schon Voorberg, insbesondere aber Huber formte den typischen Klang des SWR Vokalensembles, geprägt von schlanker, gerader Stimmgebung. Viele der mehr als 200 Uraufführungen, die in der Chronik des SWR Vokalensembles verzeichnet sind, hat er dirigiert. Auf diesem Niveau konnte Marcus Creed aufbauen, als er 2003 die Position des Chefdirigenten übernahm. Dem Ensemble ging zu diesem Zeitpunkt bei Fachpresse und Publikum längst der Ruf voraus, in konstruktiver Offenheit mit den Schwierigkeiten zeitgenössischer Partituren umzugehen.
In seinen ersten Stuttgarter Jahren legte Creed, der als einer der profiliertesten Dirigenten internationaler Profichöre gilt, seine Arbeitsschwerpunkte deshalb auf das Vokalwerk von György Ligeti, Luigi Dallapiccola und Luigi Nono. Darüber hinaus setzte er die Reihe der Uraufführungen fort. Intensiviert wurde vor allem die Zusammenarbeit mit Georges Aperghis, Heinz Holliger und György Kurtág. Die Studioproduktion des SWR Vokalensembles Stuttgart erscheinen zu einem großen Teil auf CD und werden regelmäßig mit internationalen Preisen ausgezeichnet, darunter der Preis der Deutschen Schallplattenkritik, der Grand Prix du Disque und der Midem Classical Award.
Sylvain Cambreling und das SWR-Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg
Die Geschichte des SWR Sinfonieorchesters Baden-Baden und Freiburg reicht in das Jahr 1946 zurück. Sie ist geprägt von unroutiniertem Umgang mit der Tradition, Aufgeschlossenheit für das Neue und Ungewöhnliche: Tugenden, über die auch Chefdirigent Sylvain Cambreling in ungewöhnlichem Maße verfügt, der seit 1999 mit dem Orchester arbeitet. Er bildet, zusammen mit seinem Vorgänger Michael Gielen und Hans Zender als ständigen Gastdirigenten, ein Triumvirat, wie es in der internationalen Orchesterlandschaft beispiellos ist.
Dass man mit hohen Ansprüchen Erfolg haben kann, beweist das Orchester bis heute. Mehr als 300 von ihm eingespielte Kompositionen sind auf CD erschienen, und es reist seit 1949 als musikalischer Botschafter durch die Welt. Zahlreiche Gastspiele verzeichnet die Orchesterchronik, darunter regelmäßig zum Festival d’Automne Paris, den Salzburger Festspielen, nach Wien, Berlin und Edinburgh, Brüssel, Luzern, Strasbourg, Frankfurt...
1999 spielte das Orchester in der New Yorker Carnegie Hall u.a. die amerikanische Erstaufführung von Bernd Alois Zimmermanns "Requiem für einen jungen Dichter". Vielbeachtete Großprojekte fanden in den letzten Jahren unter anderem bei den Salzburger Festspielen, bei der 1. RUHRtriennale und in der Kulturhauptstadt Europas Graz statt. 2005/06 wurden - neben dem orchestereigenen 60. Geburtstag - sowohl Mozarts 250. als auch Helmut Lachenmanns 70. Geburtstag in etwa einem Dutzend Konzerten zwischen Wien und Paris, Brüssel und Berlin gefeiert.
Ungewöhnliche Konzert-Konzepte unterstreichen das besondere Profil des Orchesters: So etwa die Verschränkung von Haydns "Sieben letzten Worten" in einer den Raum einbeziehenden Bearbeitung von Sylvain Cambreling mit Messiaens "Et exspecto resurrectionem mortuorum" und literarisch-theologischen Betrachtungen von Martin Mosebach, oder eine "Hommage à Mozart" gemeinsam mit dem Freiburger Barockorchester.