Musikstück der Woche vom 4.1. bis 10.1.2010

Das Zweite ist das Erste

Stand
Autor/in
Kerstin Unseld

Die Chronologie von Felix Mendelssohn-Bartholdys Streichquartetten stimmt nicht mit der Nummerierung überein. So ist Nr. 1 Es-Dur op. 12 eigentlich das zweite Streichquartett.

Für die Streichquartett-Kultur erwies sich dieses Zusammentreffen von Erich Höbarth, Andrea Bischof, Anita Mitterer und Christophe Coin als ein Glücksfall, blickt man auf die mittlerweile mehr als 20 Jahre zurück, in denen die vier Concentus Musicus-Mitglieder als Quatuor Mosaïques auf den Konzertbühnen international gastieren und Erfolge feiern. Konsequent mit ihren mit Darmsaiten bespannten Instrumenten, vorwiegend mit klassische Literatur oder selten gespielte Werke des 18. und 19. Jahrhunderts im Gepäck – so kamen die Musiker am 12.2.2009 auch in den Kammermusiksaal des Bruchsaler Schlosses und spielten hier u.a. Mendelssohns Quartett Nr. 1.  

"Quartett aus B. P.-Dur"

B.P.-Dur ist eine Herzenstonart. Denn B.P. steht für Betty Pistor, eine jungen Frau aus der Nachbarschaft der Familie Mendelssohn in der Leipziger Straße in Berlin. Betty war die Tochter eines Astronomen und die Freundin von Felix' jüngerer Schwester Rebekka. Sie sang in Carl Friedrich Zelters Berliner Singakademie - und Felix verehrte sie. So schmunzelten Mendelssohns Freunde, das Quartett stehe nicht in Es-Dur sondern sei ein "Quartett aus B.P.-Dur". Und man mag in die Canzonetta, den zweiten, wie ein "Lied ohne Worte" komponierten Satz des Quartetts hineingeheimnissen, was man mag...

Nüchterne Fakten dagegen sind, dass dieses chronologisch zweite Streichquartett Nr. 1 im Sommer 1829 in London entstand, wo sich Felix Mendelssohn im Rahmen einer Bildungsreise nach England und Schottland aufhielt. 1829 war ein besonderes Jahr, denn zu dieser Zeit hatte Mendelssohn die legendäre erste Aufführung der Matthäuspassion von Johann Sebastian Bach mit der Berliner Singakademie geleitet, die als Ausgangspunkt der Bach-Renaissance gilt. Die Beschäftigung mit der Musiktradition von Barock und Klassik stand fraglos für den gerade 20-Jährigen im Vordergrund und schlägt sich kompositorisch auch in seinen Kammermusikwerken nieder. Im Es-Dur-Streichquartett ist die Auseinandersetzung mit dem Spätwerk von Ludwig van Beethoven jedenfalls unüberhörbar.

Wie so oft 'ereilte' auch die Canzonetta des Werks das gleiche Schicksal wie ähnlich kantable Einzelsätze: Sie erlangte vor allem im 19. Jahrhundert in zahlreichen, teilweise abenteuerlichen Arrangements als 'Schmankerl' große Popularität.

Quatuor Mosaïques

Auf einer der zahlreichen Konzertreisen von Nikolaus Harnoncours berühmten Originalklangensemble Concentus Musicus Wien schlug1987 die Gründungsstunde des Quatuor Mosaïques. Denn die Stimmführer des Orchesters nahmen zum Zeitvertreib Quartettnoten mit und musizierten mit ihrem historischwachen Blick auf Musiktraditionen. Dabei stand nie eine museale "Authentizität" im Vordergrund, vielmehr sollte die lebendige Verbindung zur großen europäischen Quartett-Tradition spürbar werden. So gingen vom legendären Végh-Quartett, dessen Mitglied Erich Höbarth drei Jahre lang war, wesentliche Impulse aus: Letztes Ziel jeder Interpretation sollte sein, den inneren geistigen Reichtum der Musik zu offenbaren.

Heute wird das Quatuor Mosaïques immer wieder als eines der führenden Streichquartette der Gegenwart bezeichnet. Dies ist durch viele preisgekrönte Einspielungen belegt. So wurde das Ensemble unter anderem für seine Haydn-Einspielungen 1993 und 1996 mit dem Gramophone Award, einem der bedeutendsten Schallplattenpreise, ausgezeichnet.

Neben dem eigenen Zyklus im Wiener Konzerthaus unterhält das Quatuor Mosaïques ähnliche Konzertreihen in der Wigmore Hall London, dem Concertgebouw Amsterdam sowie im Kammermusiksaal der Berliner Philharmonie. 2006 folgte das Ensemble einer Einladung nach Spanien, wo es auf den berühmten Stradivari-Instrumenten, die sich im Besitz des spanischen Königshauses befinden, die Streichquartette von Juan Crisóstomo de Arriaga aufführte und anschließend auf CD einspielte.

Stand
Autor/in
Kerstin Unseld