"Capo pazzo" - Wirrkopf - war Veracinis Spitzname. So mancher Musikkenner hielt ihn für den bedeutendsten Geiger seiner Zeit. Der Musikgelehrte Charles Burney etwa - und der hatte wahrlich genug Vergleichsmöglichkeiten. "Die Merkwürdigkeiten seiner Spielweise", so hielt Burney in seinem Reisetagebuch fest, "waren die Hand, mit der er den Bogen führte, sein Vibrato, seine klugen Verzierungen und sein Ton - er war so klar und laut, dass man ihn auch aus einer großen Gruppe von Musikern deutlich heraushörte; sei es in der Kirche oder im Theater".
Wanderer mit "Peter" und "Paul" im Gepäck
Veracini führte ein äußerst unstetes Leben. 1690 in Florenz geboren, erhielt er seine erste geigerische Ausbildung bei seinem Onkel und seinem Großvater. Da er zunächst keine Anstellung fand, pendelte er zwischen Venedig, Florenz und London hin und her. Weitere Lebensstationen waren Düsseldorf, Prag und Dresden. Dort stellte ihn der sächsische Kurfürst 1717 als Geiger in seiner vorzüglichen Hofkapelle ein. Veracini erhielt ein großzügiges Jahreshonorar von 1200 Talern - genauso viel, wie der Kapellmeister und der Konzertmeister des Dresdner Hofes (allerdings ein Bruchteil der Gagen für die Starsänger). Dennoch: Mobbing, Eifersüchteleien und Feindseligkeiten mit den anderen Hofmusikern vergifteten Veracinis Dresdner Zeit. Während eines Tobsuchtanfalls sprang er aus dem Fenster im zweiten Stock seines Hauses - andere Quellen sprechen von einem Selbstmordversuch. Er packte seine beiden wertvollen Geigen ein (die er mit den Namen Peter und Paul versehen hatte) und verließ hinkend die Stadt.
Die d-moll-Sonate: musikalischer Cayennepfeffer
In London, wo Veracini häufig als Geiger auftrat und als Komponist für die Opera of the Nobility arbeitete, stand er in direkter Konkurrenz zu Georg Friedrich Händel. Auch hier eckte er immer wieder an mit seinem exzentrischen Temperament. Ebenso individuell wie sein Charakter sind Veracinis Werke, vor allem diejenigen für sein eigenes Instrument.
Die Violinsonate d-moll (in London komponiert) bildet den funkelnden Schlussstein seiner Sammlung von zwölf Violinsonaten op. 2. Drei der vier Sätze basieren auf ostinaten Bassmodellen: Die Bass-Stimme spielt wieder und wieder eine kurze melodische Phrase. Das Rahmenintervall ist eine absteigende Quarte. Solcherlei ostinate Figuren sind traditionell ein Ausdrucksmittel für Klage, Schmerz und Verzweiflung. Veracini verstärkt diesen schmerzlichen Affekt noch, indem er die ostinate Melodie reichlich mit Chromatik würzt, sodass das Grundmuster trotz seiner Strenge mit harmonisch schillernden Farben angereichert ist. Darüber entfaltet die Geige eine Fülle von Gedanken und Variationen, deren emotionaler Reichtum von Verzweiflung und Weinen bis hin zu ausgelassener Freude und Lust am virtuosen geigerischen Hochseilakt reichen und dem Hörer reichlich Überraschungen bieten.
Im vierten Satz der Sonate greift Veracini die Anfangstakte des ersten Satzes wieder auf - in der Barockzeit ein äußerst seltener architektonischer Kunstgriff und ein würdevoller und runder Abschluss dieser Sonatensammlung.
Leider etwas zu exzentrisch
Die Sammlung erschien 1744 im Selbstverlag und trägt den Beinamen "Sonate accademiche" - ein Fingerzeig, dass Veracini diese Musik im Rahmen von musikalischen Akademien, also vor einem Publikum von Kennern aufgeführt wissen wollte. Die Sammlung ist dem sächsischen Kurfürsten August III. gewidmet und möglicherweise ein Versuch Veracinis, sich über 20 Jahre nach seinem Weggang aus Dresden dort wieder ins Gespräch zu bringen - was offenbar fehlschlug. In England stießen die Sonaten wegen ihrer modernen Klangsprache und ihrer Lust am Bizarren auf wenig Begeisterung. Verbittert kehrte Veracini nach Florenz zurück, wo er als Kirchenkapellmeister eine Anstellung fand. In einem kritisch-polemischen Musiktraktat ("Il trionfo della practica musicale") stillte er seine Enttäuschung und seinen Rachedurst mit schriftlichen Hasstiraden gegen seine Komponistenkollegen. Bis zu seinem Tod im Jahr 1768 war Veracini als Geiger aktiv.
Ensemble "The Age of Passions"
"Das Zeitalter der Leidenschaften" – unter diesem Ensemblenamen musizieren in unserer Aufnahme drei der renommiertesten Musiker aus der Alte-Musik-Szene zusammen: Petra Müllejans (Violine), Hille Perl (Gambe) und Lee Santana (Laute). Sie alle gehören zur Stammbesetzung des Freiburger Barockorchesters und sind darüber hinaus in verschiedenen Kammermusikformationen und als engagierte Instrumentallehrer musikalisch aktiv.